Franklin Templeton: Werden Negativzinsen zum Trend?

Die weltweite Geldpolitik hat eine bislang beispiellose Richtung eingeschlagen – negative Zinsen sind mittlerweile in vielen Teilen der Welt der Normalfall. Brooks Ritchey, Senior Managing Director von K2 Advisors, sieht nur wenige Belege dafür, dass dieses Vorgehen mehr Wirtschaftswachstum bringt. Franklin Templeton | 01.05.2016 12:15 Uhr
Ritchey Brooks, Senior Managing Director, K2 Advisors, Franklin Templeton Solutions / ©  Franklin Templeton
Ritchey Brooks, Senior Managing Director, K2 Advisors, Franklin Templeton Solutions / © Franklin Templeton
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"Seit einiger Zeit sind die Zentralbanken weltweit dabei, sich mit dem Konzept einer Null- oder Negativzinspolitik (ZIRP- oder NIRP-Politik) anzufreunden. Trotz unbekannter und möglicherweise sehr unerfreulicher langfristiger Konsequenzen haben die Währungshüter in Europa, Japan, Schweden, der Schweiz und Dänemark ihre Zinsen sämtlich in den negativen Bereich gesenkt.

Dabei sollte man nicht vergessen, dass negative Zinsen im Prinzip eine Schwächung der Banken in den davon betroffenen Ländern bedeuten. Sie sind das Gegenteil von dem, was in einer Welt mit normal funktionierenden Märkten rational und logisch erscheinen würde. Im Grunde sagt man den Banken damit, dass sie so viele Kredite vergeben sollen wie möglich – selbst wenn deren Bedienung und Rückzahlung nicht gesichert sind. Die Banken sollen einfach weiter Geld verleihen und jede Kompensation für das damit verbundene Risiko vergessen.


In der Geschichte gibt es zahllose Fälle (manche davon wirken anmaßender als andere), in denen Versuche, ein Problem zu lösen oder ein System zu kontrollieren, katastrophale Folgen hatten – ungeachtet aller sorgfältigen Planungen. Ein Beispiel dafür sind Regeln, die Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA eingeführt wurden, um die Schäden durch Brände in den riesigen Waldgebieten des Landes zu verringern: Durch sie sind die heutigen Brände weitaus schlimmer geworden. Bis 1890 gab es im amerikanischen Südwesten ungefähr alle 5 bis 10 Jahre zumeist kleinere Waldbrände, die Gras, Sträucher und Jungpflanzen auffraßen, während die großen Gelbkiefern und Douglastannen weitgehend verschont blieben. Dadurch wurde die Vegetation ausgedünnt, wodurch größere Brände verhindert und die Integrität des gesamten Ökosystems geschützt wurde. So war es, bis eine Reihe von besonderes zerstörerischen Bränden (die als „Big Blowup“ bezeichnet wurden) den US Forest Service dazu brachten, seine gesamte Energie auf die Verhinderung von Bränden zu richten. Diese Bemühungen waren sehr erfolgreich, doch im Rückblick kommen viele Beobachter zu dem Schluss, dass die längerfristigen Konsequenzen die kurzfristigen Vorteile überwogen. Weil es die regelmäßigen kleineren Brände nicht mehr gab, wurden die betroffenen Regionen zu riesigen Nährböden für enorme Flächenbrände. Die Berge von New Mexico, Arizona, Colorado und Utah ersticken heute förmlich in Gras, Sträuchern und Bäumen jeder Größe. Das Unterholz ist mittlerweile so dicht, dass es sehr viel leichter entflammt und weitaus größere und verheerendere Brände in Gang hält.

Die heutigen Brände sind größer und heißer, was die Wälder nicht nur beschädigt, sondern geradezu auslöscht. Allein im Jahr 2012 fielen in den USA rund 36.000 Quadratkilometer Fläche mehr als 75.000 Waldbränden zum Opfer – eine beunruhigende Zahl.[1] Kurz gesagt, sind Brände im Westen der USA in den letzten Jahren beispiellos und unberechenbar geworden – sicher nicht das, was sich die Entscheider des US Forest Service vor 75 Jahren vorgestellt hatten.

Ähnlich nutzen die Zentralbanken weltweit seit einiger Zeit aggressive geldpolitische Instrumente wie NIRP, um die deflationären Flammen zu ersticken, die von der globalen Finanzkrise 2008–2009 hinterlassen wurden. Könnte es sein, dass auch ihr Einsatz unbeabsichtigt die Voraussetzungen für eine viel breitere und schwerere wirtschaftliche Katastrophe in der Zukunft schafft? Wir gehen davon aus, dass die Entscheidungsträger und Akademiker bei den Zentralbanken sich des Potenzials für negative Entwicklungen vollkommen bewusst sind; trotzdem sind sie offenbar gezwungen, weiterzumachen.

Es liegt in ihrer akademischen DNA

Meiner Meinung nach entstammen die meisten Zentralbanker von heute der keynesianischen Schule der Wirtschaftstheorie (basierend auf den Gedanken und Grundsätzen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes), die das vergangene Jahrhundert über an den Universitäten am häufigsten gelehrt wurde. Als Keynesianer sind sie entschieden gegen Deflation in jeder Form und der Meinung, dass alles dafür getan werden sollte, sie zu verhindern. Dadurch sind sie genötigt, ihre geldpolitischen Lockerungsprogramme ungeachtet der Tatsache fortzusetzen, dass es keinerlei Belege für ihre Wirksamkeit gibt.

Keynesianische vs. österreichische Schule

Natürlich ist nicht jeder mit dem Weg einverstanden, den die Zentralbanken nach der Finanzkrise eingeschlagen haben – tatsächlich gibt es einige deutlich abweichende Stimmen. Im Wesentlichen lassen sich die Argumente für und gegen geldpolitische Lockerung leicht in zwei unterschiedliche Denkschulen einordnen: die erwähnte keynesianische Schule (als der vorherrschenden Ideologie, die heute den Entscheidungen in den Gremien der meisten Zentralbanken in den Industrieländern zugrunde liegt) und die österreichische Schule. Letztere basiert auf den Ideen verschiedener Akademiker, von denen einige aus Österreich-Ungarn stammten, darunter Ludwig von Mises.

Auf die Gefahr hin, dass ich zwei ohne Zweifel sehr fundierte und detaillierte ökonomische Theorien zu vereinfacht darstelle, möchte ich versuchen, sie folgendermaßen zusammenzufassen:

Keynesianisch

Sehr einfach ausgedrückt, argumentieren Keynesianer, dass die Geschäftsentscheidungen des Privatsektors zu ineffizienten Ergebnissen führen können, sodass von Zeit zu Zeit staatliche Interventionen mit aktiver Geldpolitik erforderlich sind, die zum Beispiel von einer Zentralbank koordiniert werden können. Allgemein sind Keynesianer der Ansicht, dass Wirtschaftswachstum von den Ausgaben getrieben wird und dass defizitfinanzierte Staatsausgaben in einer Rezession durch Haushaltsüberschüsse im Aufschwung ausgeglichen werden können.

Österreichisch

Die österreichische Theorie fordert möglichst wenig staatliche Interventionen in der Wirtschaft, insbesondere bei der Geldproduktion. Für die österreichische Schule richten Zentralbankmanipulationen am Konjunkturzyklus in Form von künstlicher Stimulierung langfristig mehr Schaden an, als sie nützen. Die dadurch letztlich entstehenden Blasen und Rezessionen sind viel schlimmer, als es bei einem natürlichen Verlauf der Konjunktur der Fall wäre.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Märkte für die österreichische Schule selbstkorrigierende Mechanismen sind, die relativ glatten Zyklen folgen; demnach ist es besser, sozusagen der Natur ihren Lauf zu lassen, als zu intervenieren, wenn die Lage nicht optimal ist (z. B. in einer Rezession). Keynesianer dagegen glauben, dass sich Konjunkturzyklen mit taktischen geldpolitischen Interventionen von Regierungen glätten lassen und dass auch die Fiskalpolitik dazu dienen kann, Marktzyklen besser zu steuern.

Und welche dieser Ansichten ist richtig? Ist es besser, die Zinsen aggressiv zu senken – und sie dann noch weiter zu senken, wenn sich die Lage immer noch nicht verbessert hat? Oder sollten Zentralbanken sich heraushalten und die Märkte sich selbst überlassen? Wir leben nicht in einer Welt des „entweder/oder“, und in diesem Fall liegt die optimale Anwendung der Wirtschaftstheorie – meiner bescheidenen Meinung nach – wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Das Problem dabei ist, dass wir uns mit der Einführung von NIRP-Programmen längst weit und dramatisch von dieser Mitte entfernt haben. Das Gewicht hat sich also definitiv zu einer der Seiten verschoben.

Der metaphorische Waldbrand

Ich mache mir ernsthafte Sorgen über die möglichen unbeabsichtigten Auswirkungen, die sich längerfristig aus der lockeren Geldpolitik ergeben könnten. Die österreichische Schule ist für dieses Thema höchst relevant, denn ihr Schwerpunkt liegt auf den kumulativen Effekten von Bankenkrediten auf die Angebotsseite der Wirtschaft. Für Ökonomen aus dieser Schule wächst die Wirtschaft durch Ersparnisse, denn diese können zu Krediten für andere werden, die damit das Wachstum ihrer Unternehmen finanzieren – anders als Geld, das durch Kredit bei einer Zentralbank entstanden ist. Wenn es mehr Sparer gibt, werden Kredite billiger (niedrige Zinsen), weil das Angebot die Nachfrage übersteigt. Wenn der Pool der Ersparnisse dagegen kleiner ist als die Nachfrage danach, werden die Zinsen steigen, sodass am Markt mehr gespart und weniger Geld ausgeliehen wird. In der Theorie ist das Ergebnis ein wirtschaftliches Gleichgewicht, in dem die Wirtschaft kurzfristig vielleicht nicht stark wächst, aber stabiler und langfristig funktionsfähig bleibt.

Aus österreichischer Sicht können im Bankensystem entstandene Kredite – im Gegensatz zu Krediten als Ergebnis echten Sparens – die Ausgaben kurzfristig ankurbeln. Dies führt langfristig jedoch zur Fehlallokation von realen Ressourcen, das heißt zu Fehlinvestitionen.

Deren Renditen reichen häufig nicht aus, um die für ihre Finanzierung aufgenommenen Schulden zu bedienen. Wenn zusätzliche Kredite hauptsächlich für produktive Investitionen verwendet werden, sodass sie zusätzliche Einnahmequellen für die spätere Rückzahlung schaffen, ist soweit alles in Ordnung. In Europa und den USA sieht es jedoch seit einigen Jahrzehnten anders aus: Hier scheint ein immer kleinerer Anteil der Schulden für Investitionen verwendet zu werden und ein immer größerer für Konsum, Importe und Häuserkäufe.

Derartige Ausgaben lassen keine zukünftigen Einnahmen entstehen, sodass Zins- und Tilgungszahlungen mit der Zeit einen immer größeren Anteil an den individuellen Einkommen ausmachen – trotz der Tatsache, dass sich die Zinsen seit 1980 im Abwärtstrend befinden. Meiner Meinung nach ist das eine besorgniserregende Entwicklung. Aus österreichischer Sicht liegt der Hauptgrund dafür, dass wir schon wieder versuchen müssen, das Wachstum mit Hilfe massiver Liquiditätszufuhr in Gang zu bringen, in nichts anderem als in der massiven Liquiditätszufuhr der Vergangenheit.

Also lautet die Frage: Hat der Trend zur Kreditakkumulation der vergangenen 75 Jahre endlich seine Grenze erreicht?

Wirksamkeit von ZIRP bis NIRP

Man kann wohl sagen, dass weder Europa noch Japan und nicht einmal die USA nach 2008 einen bedeutenden Wirtschaftsaufschwung erlebt haben, wenn man globale Finanzzentren wie die Wall Street sowie die Banken außer Acht lässt. Japan hat immer noch mit einem hohen Deflationsdruck zu kämpfen, Europa scheint erneut am Rand einer Rezession zu stehen, und das Wachstum in den USA war zuletzt nicht so robust wie erhofft. Die politischen Entscheider verdoppeln unterdessen ihre Einsätze mit derselben Strategie.

Die Daten zeigen jedenfalls ein durchwachsenes Bild. Die Ökonomen der Welthandelsorganisation, die noch im April 2015 davon ausgingen, dass der Welthandel im Jahr 2015 um 3,3% wachsen würde, haben diesen Wert mittlerweile auf 2,8% gesenkt.[2] Sollten sie damit richtig liegen, wird 2015 das vierte Jahr in Folge gewesen sein, in dem der Welthandel um weniger als 3% zugenommen hat. Der Durchschnittswert für dieses Wachstum in den vergangenen 20 Jahren (1995–2015) lag bei 5%.[3]

Zum Ende des dritten Quartals 2015 war das Handelsvolumen der USA gegenüber seinem Höchststand um 1% gesunken, in der EU um 2% (globale Exporte, nicht innerhalb der EU), in Japan um 3% und in China/Hongkong um 5%.[4] Diese Zahlen mögen nicht sehr hoch klingen, doch ich halte einen simultanen Rückgang der Exportvolumina für ungewöhnlich, insbesondere wenn jede wichtige Volkswirtschaft der Welt davon betroffen ist. Wenn das globale Handelsvolumen abnimmt, steigt sukzessive der innenpolitische Druck, die Geldpolitik in Stellung zu bringen, um sich (mittels einer Währungsabwertung) einen größeren Teil des immer kleineren Exportkuchens zu sichern. Dies war schon in den 1930er Jahren mit protektionistischen Maßnahmen wie Zöllen und Einfuhrquoten zu beobachten, heute zeigt es sich in Form negativer Zinsen.

Das Ergebnis

Für mich ist inzwischen klar: Was die Zentralbanken mit ihren geldpolitischen Instrumenten getan haben, konnte bislang zwar einen Zusammenbruch des Finanzsystems verhindern, hat aber wenig dazu beigetragen, echtes Wirtschaftswachstum entstehen zu lassen. Deshalb fällt es mir auch schwer, zu glauben, dass es mit einer größeren NIRP-Kampagne gelingen wird, Deflation zu verhindern.

Schließen möchte ich mit einem Zitat von Richard Fisher, dem früheren Präsidenten der regionalen US-Notenbank von Dallas, aus einer Rede vor dem Harvard Club of New York am 19. September 2012. Ich habe dieses Zitat immer im Kopf, denn für mich drückt es auf sehr prägnante Weise den Kern der heutigen Probleme aus:

„Ich glaube, mit jedem Programm, das wir beschließen, um noch weiter in diese Richtung zu gehen (quantitative Lockerung), desto tiefer geraten wir in unbekannte Gewässer. Bei der Fed sind wir mit raffinierten ökonometrischen Modellen und hervorragenden Analysten ausgestattet. Wir können problemlos plausible Theorien darüber entwickeln, was wir tun werden, wenn unser nächstes Manöver oder irgendwann ein Kurswechsel ansteht. Die Wahrheit aber ist, dass niemand in dem Ausschuss … wirklich weiß, was die Wirtschaft zurückhält. Niemand kann sagen, was funktionieren wird, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. Und niemand – tatsächlich keine einzige Zentralbank auf dem gesamten Planeten – hat Erfahrungen damit, von dem Ort aus, an dem wir uns jetzt befinden, sicher zurück nach Hause zu navigieren. Keine Zentralbank – oder jedenfalls nicht die Federal Reserve – war jemals auf einer solchen Reise.“

Packen Sie getrost Ihre Sachen. Aber vergessen Sie den Feuerlöscher nicht!"

Brooks Ritchey 
Senior Managing Director, K2 Advisors
Franklin Templeton Solutions

[1]Quelle: US National Interagency Fire Center.
[2] Welthandelsorganisation, September 2015. Es kann nicht zugesichert werden, dass sich Schätzungen oder Prognosen als richtig erweisen.
[3] Ebd.
[4] Ebd.

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