Mai-Ausgabe: Entschlüsselung

Im Folgenden erhalten Sie die Mai-Ausgabe von "Entschlüssenlung, dem monatlichen Investment Review von Jean-Louis Nakamura, CIO Asset Allocation bei Lombard Odier. Erfahren Sie mehr hier: Lombard Odier Investment Managers | 25.05.2010 11:32 Uhr
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ENTSCHLÜSSELUNG Das Börsengeschehen ist gegenwärtig – wie bereits zwischen Mitte Januar und Anfang Februar – von der Finanzkrise Griechenlands und der Gefahr einer Ausbreitung auf andere Mitgliedstaaten des Euroraums geprägt. Die Krise führte in der letzten Aprilwoche und in den ersten Tagen des Monats Mai zu einer deutlichen Korrektur an den Aktienmärkten insbesondere Europas. Ausserdem mündete sie in einer ausgeprägten Renditestreuung an den Anleihenmärkten, einer erneuten Abschwächung des Euro und parallel dazu in einer Aufwertung des Dollars gegenüber allen anderen Währungen. Der Schweizer Franken konnte nicht von seinem Ruf als Fluchtwährung profi tieren und gegenüber dem Euro zulegen, was anscheinend ausschliesslich auf die Haltung der Schweizerischen Nationalbank zurückzuführen ist. Die Sorge der Marktteilnehmer ist gleichermassen nachvollziehbar wie paradox. Nachvollziehbar ist sie, weil die Haushaltsentwicklung zahlreicher Industrieländer heute untragbar ist. Dabei fällt nicht so sehr das Niveau der Staatsverschuldung, sondern deren starker Anstieg ins Gewicht. Letzterer hängt von mehreren Variablen ab: vom durchschnittlichen Satz, zu dem die Verbindlichkeiten verzinst werden, vom nominalen Wirtschaftswachstum, vom Gegenwert der Sicherheiten, die der Schuldenlast gegenüberstehen, und schliesslich vom Primärsaldo der öffentlichen Haushalte. Unter dem Primärsaldo versteht man die Differenz zwischen den öff entlichen Einnahmen und Ausgaben ohne Berücksichtigung der Schuldzinszahlungen. Wenn der auf dem nominalen BIP Wachstum beruhende Zuwachs der öffentlichen Einnahmen niedriger ausfällt als der Anstieg der Schuldzinszahlungen, müssen die Staaten unbedingt einen höheren Primärsaldo erwirtschaften. Andernfalls riskieren sie, dass sich die Schuldenspirale verselbstständigt.

Während der Krise sind die Primärsalden in den meisten Industriestaaten stark gesunken. Dies war nicht so sehr auf den Konjunktureinbruch, sondern vielmehr auf die massiven Liquiditätsspritzen zurückzuführen. Damit wollten die Regierungen die Nachfrage der privaten Haushalte und der Unternehmen stützen, verschiedene im Grunde insolvente Finanzinstitute rekapitalisieren oder private Schulden übernehmen, die nicht mehr zurückgezahlt werden konnten. Die Primärdefizite haben inzwischen Rekordniveaus erreicht. Angesichts der  Diskrepanz zwischen den impliziten Refinanzierungskosten der jeweiligen Staatsschulden und dem betreff enden nominalen BIPWachstum müssten die meisten Industriestaaten ihre Primärdefizite deutlich verringern: Deutschland um 2, Frankreich und Japan um 7, die USA um 9 und Grossbritannien um mehr als 10 Prozentpunkte des BIP. Und damit würden diese Länder ihr Schuldenwachstum lediglich stabilisieren. Die Länder müssen schon deshalb zügig handeln, weil eine weitere Zunahme ihrer Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP ihren Handlungsbedarf künftig noch erhöhen würde. Es droht ein klassischer Schneeballeffekt: Eine unkontrollierbare Verschuldung sprengt letztlich die öffentlichen Haushalte. Japan kämpft seit Jahren mit diesem Problem.

Dennoch erscheint die Panik, welche die Märkte seit Jahresbeginn mehrfach ergriffen hat, in puncto Zeitpunkt und Ausmass paradox. Der Zeitpunkt erscheint seltsam, weil die prekäre Haushaltssituation bereits seit Beschluss der Konjunkturmassnahmen (oder wie im Fall Japans noch länger) bekannt ist. Letztere wurden im Übrigen von den Märkten mit grosser Erleichterung aufgenommen. Bei der Krisenbekämpfung handelte es sich um eine gigantische Operation, in deren Rahmen staatliche Institutionen private Schulden übernahmen. Der implizite „Deal“ bestand darin, sich nicht nur zu niedrigeren Finanzierungskosten einen besseren Marktzugang (und eine Entspannung an den Kreditmärkten) zu erkaufen, sondern vor allem durch die Vergabe grundsätzlich sichererer Staatsgarantien Zeit zu gewinnen. Es mag deshalb widersprüchlich erscheinen, dass die Märkte diesen Deal nun in Frage stellen – zu einem Zeitpunkt, da die Staaten ihre Engagements kaum zurückfahren können, weil sich die betroffenen Volkswirtschaften noch nicht erholt haben. Es ist riskant, die Staaten frühzeitig zu restriktiveren Massnahmen zu verpflichten oder zu bewegen. Diese könnten nämlich den Aufschwung im Keim ersticken, der die Märkte für risikoreiche Anlagen seit einem Jahr massgeblich stützt.

Auch das Ausmass der Krise erscheint manchem paradox. Nur der Euroraum – in erster Linie einige an der Peripherie liegende Euroländer – sind momentan von der Krise betroffen. Lässt man einmal Griechenland ausser Acht, sind die Schuldendynamik und die potenziellen Auswirkungen eines Zahlungsausfalls in den Ländern am Rand des Euroraums weniger bedenklich als beispielsweise in Japan, Frankreich, den USA oder Grossbritannien. Sicher: Die spezifischen Situationen Japans (Staatsschulden fast ausschliesslich von Inländern finanziert) und der USA (Rolle des Dollars als Reserve- und Wechselwährung) führen aufgrund einer Verwässerung dazu, dass Fragen und Zweifel später aufkommen als in anderen Ländern. Aber es überrascht doch, wie die Märkte das Ausfallrisiko von Staatsanleihen bewerten, das sich im Kurs der entsprechenden Credit Default Swaps (CDS) widerspiegelt. Diese Bewertung weicht bislang recht stark von den Ergebnissen ab, welche die Analyse der Schuldendynamik der grossen Industrieländer ergibt.

Uns scheint, dass dieses scheinbare doppelte Paradox rational begründet werden kann. Dazu sollte man sich vor Augen führen, dass diese Krise keine „klassische“ Finanzkrise, sondern vor allem eine Krise des Vertrauens ist – des Vertrauens in die Macht und Mittel der Industrieländer wie auch der Weltwirtschaft, das Problem der Staatsverschuldung zu lösen. Bislang kam es vor allem in Schwellenländern zu „traditionellen“ Zahlungsausfällen. Diese Staaten hatten keinen Zugang zu Garantien der Industrieländer. Dafür konnten sie die Nothilfe des IWF in Anspruch nehmen, die auf das erforderliche Refinanzierungsvolumen zugeschnitten war. Dass die Märkte nun nicht spontan auf die aktuelle Haushaltsschwäche einiger Industriestaaten reagiert haben, liegt daran, dass diese Länder nach Ansicht der Marktteilnehmer über effektive Mittel zur Problemlösung verfügen. Mittel, die es ihnen erlauben sollten, ihren Haushalt leicht wieder auf Kurs zu bringen. Käme es tatsächlich zu einem Zahlungsausfall, so die Marktmeinung, würden andere souveräne Staaten mit Finanzhilfen einspringen. Ihre Motivation bestünde entweder im Willen, sich vor den gravierenden Auswirkungen eines möglichen Ausfalls zu schützen (analog zur Begründung der Bankenrettungsmassnahmen), oder in einer als natürlich empfundenen politischen Solidarität.

Die Krise Griechenlands hat einige dieser Überzeugungen erschüttert. Zum einen die Überzeugung, dass die Haushaltsführung eines Staates, der einem der reichsten Wirtschaftsräume der Welt angehört, transparenter sei als die der Schwellenländer (die im Übrigen in den letzten Jahren ein hohes Durchschnittswachstum verzeichnet haben). Oder die scheinbare Gewissheit, dass eine solche Volkswirtschaft ihren Haushalt relativ einfach an die Gegebenheiten anpassen könne. Die sozialen und politischen Kosten einer derartigen Haushaltsanpassung lassen sich nur schwer vermitteln. Die Bevölkerung hat in der Illusion gelebt, dass sich ihr – durch ein übermässiges strukturelles Haushaltsdefizit (und eine strukturell überbewertete Währung) finanziertes – Einkommensniveau permanent aufrecht erhalten liesse. Und wie steht es mit der Überzeugung, die Solidarität zwischen den Ländern mit Einheitswährung werde im konkreten Fall zu selbstverständlicher finanzieller Unterstützung führen? Die Haltung Deutschlands hat gezeigt, dass sich diese Unterstützung nicht von selbst versteht. Ausserdem hat sie uns vor Augen geführt, wie begrenzt das Instrumentarium ist, mit dem die Institutionen das Funktionieren der Europäischen Währungsunion gewährleisten sollen. Die Währungsunion kann aber nur funktionieren, wenn die eine oder die andere der folgenden zwei Extremlösungen umgesetzt wird: Entweder die glaubwürdige Formulierung eines konsequenten Bail-out- Verbots, das die Mitgliedstaaten zu einer disziplinierten Haushaltspolitik bewegt und die spezifischen Risiken besser in die Renditen der Staatsanleihen integriert. Oder aber eine umfassende Haushaltssolidarität nach dem Vorbild eines bundesstaatlichen Budgets. Der als Mittelweg zwischen diesen Lösungen konzipierte Stabilitätspakt ist in zweierlei Hinsicht gescheitert. Der Pakt hat einerseits die Glaubwürdigkeit des Bail-out- Verbots untergraben und es andererseits versäumt, die – durch die Einheitswährung und ähnliche Zinsniveaus geschützten Mitgliedstaaten – zu einer disziplinierten Haushaltspolitik zu bewegen.

Deshalb ist es nicht unlogisch, dass sich das Misstrauen der Märkte auf den Euroraum konzentriert. Es gibt aber keinen Grund zur Annahme, dass die Probleme auf den Euroraum beschränkt bleiben. Wenn ein Industrieland in Refinanzierungsschwierigkeiten gerät, ohne auf die Unterstützung seiner Partner zählen zu können – oder wenn die Unterstützung schnell auf Grenzen stösst, womit bei einer Ausweitung der Schuldenkrise auf eine grosse Volkswirtschaft im Euroraum zu rechnen wäre – stellt sich die Frage nach dem Kreditgeber der letzten Instanz. Aufgrund ihrer strukturellen Sparfähigkeit kämen die BRIC-Länder und die Golfsstaaten hierfür in Frage. Doch unter den gegebenen Strukturen haben diese Staaten nur geringen Einfluss auf Entscheidungen über die Refinanzierung von notleidenden Volkswirtschaften. Die BRIC-Länder steuern mehr als 22% zum weltweiten Bruttoinlandprodukt bei, verfügen im IWF aber nur über 9% der Stimmen. Es ist wichtig, nach den Fortschritten bei der Institutionalisierung der G20-Gruppe nun auch dieses Ungleichgewicht rasch anzugehen.

Ansonsten könnte die Verunsicherung der Anleger in einer Krise münden, die die heftigen Marktturbulenzen der letzten Wochen weit in den Schatten stellen würde.

Diese Risikoerwägungen angemessen in unsere Marktpositionen einfliessen zu lassen, ist schwierig. Dies umso mehr, als die Konjunkturdaten, die Entwicklung der Unternehmensgewinne, die Liquiditätsbedingungen und die Anlegerstimmung für ein hohes Engagement in risikoreichen Anlagen sprechen. Der leichte Anstieg der Infl ationserwartungen war die einzige handfeste Neuigkeit der letzten Wochen. Hintergrund für diesen Anstieg ist womöglich die glaubhafte Äusserung der Federal Reserve, wonach sie ihre Leitzinsen nicht übereilt anheben werde. Die Anleger könnten der Auffassung sein, dass die US-Notenbank angesichts der mittlerweile starken Konjunkturentwicklung zinspolitisch hinter der Renditekurve herhinkt. Unsere eigenen Inflationsprognosen deuten eher auf einen Rückgang der Teuerung hin. Ausserdem überzeugt uns, wie stark sich die restriktiven Massnahmen der chinesischen Behörden auf das Kreditwachstum (und damit auf die künftige Inflationsentwicklung) auswirken. Deshalb beunruhigt uns der Anstieg der Inflationserwartungen kaum. Dabei stützen wir uns auch auf den empfindlichen Rückgang der Sparzinsen in den USA, der zu Jahresbeginn – trotz der nach wie vor schleppenden Arbeitsmarktentwicklung – zu erfreulichen Konsumzahlen geführt hat. Der US-Konjunkturmotor fährt also momentan auf Reserve. Es ist deshalb wichtig, dass sich die Beschäftigungszahlen nachhaltig erholen.

Selbst wenn sich ein Worst-Case-Szenario einstellen sollte, würde bis dahin wahrscheinlich einige Zeit verstreichen. Vor diesem Hintergrund verfolgen wir im Mai folgende Strategie:

  • Das Risikomodell, auf dem unser volatilitätsgesteuerter Allokationsprozess beruht, wertet die jüngsten Turbulenzen derzeit nicht als Veränderung des Risikosystems. Es besteht also momentan kein Anlass, unser Engagement in risikoreichen Anlagen strukturell zu verändern. Deshalb bleiben wir in Aktien übergewichtet. Wir verstärken die Gewichtung zyklischer Werte, indem wir unsere Long-Position in Schweizer Large Caps verkaufen und die Erlöse in Nasdaq-Titel investieren. Wir bleiben ausserdem im japanischen Markt und in Schweizer Small Caps übergewichtet. Eine leichte Untergewichtung besteht weiterhin in den europäischen Märkten (ohne Schweiz). Wir erhöhen unser Nettoengagement im Dollar. Der US-Währung, die zuletzt von ihrer Rolle als Fluchtwährung profitiert hat, kommt unserer Meinung nach der zu erwartende Konjunkturaufschwung zugute.

  • Gleichzeitig halten wir – trotz möglicher kurzfristiger Spannungen – an einer nahezu neutralen Position im Zinsbereich fest. Hintergrund hierfür ist der steile Verlauf der Renditekurve, der Carry-Strategien im Anleihenbereich begünstigt. Einen Teil der Gewinne aus dem Handel mit Schweizer Zinspapieren investieren wir indes in neue unbesicherte Engagements im US-Zinshandel. Als defensive Massnahme verstärken wir unsere Untergewichtung im Euro.

  • Wir werden die Preise der CDS, die der Absicherung des Zahlungsausfalls grosser Industriestaaten dienen, kontinuierlich überwachen. Während der jüngsten Turbulenzen haben die CDS-Märkte die Einbrüche der Aktienmärkte stets vorweggenommen. Sollten sich insbesondere die japanischen und britischen CDS beunruhigend entwickeln, könnten wir unsere Aktienengagements sehr schnell decken.
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