Das Modi-Experiment: Pictet-Bericht aus Indien

"Indien hat sich nach der überraschenden Bargeldreform im November, die die Verwendung von Bargeld einschränken und die Korruption bekämpfen soll, wieder erholt", resümiert Venkatesh Sanjeevi, Senior Investment Manager bei Pictet Asset Management, in einem aktuellen Gastkommentar. Pictet Asset Management | 05.05.2017 10:23 Uhr
Venkatesh Sanjeevi, Senior Investment Manager, Pictet Asset Management / ©  Pictet Asset Management
Venkatesh Sanjeevi, Senior Investment Manager, Pictet Asset Management / © Pictet Asset Management
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"Letzten November hatte Narendra Modi mit der sogenannten Demonetarisierung ein wirtschaftliches Erdbeben in Indien ausgelöst. Indem er alle 500- und 1000-Rupien-Scheine für ungültig erklärte und den Menschen nur wenig Zeit gab, sie in neue Banknoten umzutauschen, löste er ein Währungsbeben aus. Ähnlich wie bei Naturkatastrophen erholten sich die Inder von dem Schock der anfänglichen Turbulenzen und Unsicherheit und passten sich den neuen Gegebenheiten an. Indiens Erholung verlief sehr viel schneller als von Experten erwartet.

Bei meinem letzten Aufenthalt im Land vergangenen Monat schien die Wirtschaft wieder fast zu ihrem Normalzustand zurückgekehrt zu sein. Die Daten belegen meinen Eindruck. Im Dezember nach der Bargeldreform verzeichnete unser Frühindikator für Indien den stärksten monatlichen Rückgang seit 1987. Im Februar hatte er sich aber bereits wieder normalisiert. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Autoverkäufen. Im Dezember waren sie um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen, bis Februar aber dann wieder bis auf +0,9% gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Rückblickend scheint es sich um einen kurzen, heftigen Schock gehandelt zu haben, vergleichbar mit dem Einbruch nach der weltweiten Finanzkrise, deren Auswirkungen auf Indien ebenfalls nur von kurzer Dauer waren.

Wenn man nach den Gründen für die schnelle Erholung der indischen Wirtschaft sucht, dann muss man sich ansehen, inwieweit die Bargeldreform funktioniert bzw. nicht funktioniert hat.

Ein Hauptgrund für die Banknotenentwertung war das Ziel, die Schattenwirtschaft durch die Vernichtung von Schwarzgeld zu bekämpfen. Personen, die nicht nachweisen konnten, woher ihr Geld stammte, durften ihre alten Scheine theoretisch nicht gegen neue eintauschen. Rund 86 Prozent (oder 218 Milliarden USD) aller sich im Umlauf befindlichen Scheine (Gegenwert 253 Milliarden USD) waren von der Entwertung betroffen. Da rund ein Fünftel bis ein Viertel dieses Bargelds Einnahmen aus dem Schwarzmarkt sind, wäre diese Massnahme eine entsprechend gewaltige Vermögensvernichtung gewesen.

Modis Regierung scheint dabei jedoch den Einfallsreichtum der Inder unterschätzt zu haben, wenn es darum geht, Regeln zum Währungsumtausch zu umgehen. Im Endeffekt wurden fast alle existierenden Banknoten umgetauscht oder auf einem Konto hinterlegt. Somit fand fast keine Vermögensvernichtung statt, sondern lediglich eine Umverteilung in der Wirtschaft, da die Leute zahlten, um ihr Bargeld zu legalisieren.

Zudem konnte die Reserve Bank of India entgegen Befürchtungen, das Land könnte über einen langen Zeitraum unter Bargeldmangel leiden, genügend neue Banknoten drucken. Die Verfügbarkeit von Bargeld scheint sich wieder normalisiert zu haben. Ich habe keine Menschenschlangen vor Geldautomaten gesehen und lediglich ein oder zwei Automaten schienen nicht mit Bargeld befüllt zu sein.

In einer anderen Hinsicht funktioniert Modis Währungsreform jedoch, denn sie bringt die Menschen dazu, digitale Transaktionen zu nutzen.

Ich war sowohl beruflich als auch privat in Mumbai, Bangalore, Chennai und Mysore unterwegs und wurde überall Zeuge der grossen Anstrengungen hin zu einem bargeldlosen Zahlungsverkehr. Auch dies ist Teil des weiter gefassten Ziels der Regierung, die Schattenwirtschaft und Korruption grundsätzlich zu bekämpfen. Dazu gehört auch die digitale Massenerfassung von Fingerabdrücken und Iris, um gegen Sozialbetrug und Unterschlagung von Sozialleistungen anzugehen.

Zum Vergrößern bitte auf den Chart klicken!
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Die Zahl der verfügbaren digitalen Zahlungsoptionen in Indien steigt zunehmend. Fast alle Banken drängen auf kartenbasierte Transaktionen, entweder mittels Magnetkarten für Mobiltelefone oder Kreditkarten. Die Regierung hat Bharat QR lanciert, einen QR-Code, mit dem man bargeldlose Transaktionen vornehmen kann.

Der bekannteste Bezahldienst ist jedoch Paytm, der in Besitz eines indischen Unternehmers ist und von grossen Investitionen durch Alibaba profitierte. Die Werbung für den Dienst befindet sich überall. Er wird offensiv vermarktet, mit starken Anreizsystemen wie Cashback-Aktionen, damit die Menschen die App verwenden. Vor kurzem erhielt Paytm eine Banklizenz, so dass den Kunden nun Zinsen auf die überwiesenen Beträge gezahlt werden können. Das Unternehmen gewinnt schnell neue Kunden und scheint sich ganz klar bei Einzelhändlern durchsetzen zu können. Der Eigentümer eines kleinen Ladens erzählte mir, dass es schwierig gewesen sei, ein Paytm-System eingerichtet zu bekommen, da das Unternehmen so beschäftigt ist – obwohl es bis jetzt immer noch kein Geld verdient.

Die digitale Revolution fängt natürlich gerade erst an. Bei den Strassenverkäufern, die weiterhin überwiegend auf Bargeld angewiesen sind, ist sie noch nicht wirklich angekommen. Ein Snack-Verkäufer, mit dem ich sprach, sagte, er habe kein Bankkonto und wisse auch nichts von digitalen Zahlungssystemen. Das ist natürlich nicht wirklich überraschend, wenn man bedenkt, dass die Geschäfte dieser Verkäufer gewöhnlich unter einem Dollar liegen. Anfangs litten sie unter der Bargeldreform, aber nun läuft das Geschäft wieder ganz normal, auch wenn die Bedingungen bei kostspieligen Waren volatiler geworden sind.

Berichten zufolge benutzen die Inder neue Geldscheine, um Steuern auf Immobilientransaktionen zu vermeiden – in der Vergangenheit zahlten sie rund ein Fünftel des Kaufpreises mit Banknoten –, doch die Tatsache, dass der Immobilienmarkt schwächelt, könnte bedeuten, dass Modis Massnahmen greifen.

Obwohl die Demonetarisierung also bis jetzt zu gemischten Ergebnissen geführt hat, stützt sie Modis Bemühungen, die indische Wirtschaft zu sanieren. Beispielsweise ist die Verkehrspolizei in Indien notorisch korrupt. Nun müssen die Polizisten zunehmend Bussgelder als digitale Zahlungen verhängen, wenn sie Fahrzeuglenker aufgrund von Verstössen anhalten, so dass es schwieriger wird, das Geld in der eigenen Tasche verschwinden zu lassen. In Mysore sah ich, wie sie die Nummernschilder der Autos von widerrechtlich handelnden Verkehrsteilnehmern fotografierten und sie gar nicht erst anhielten – die Besitzer erhalten die Bussgeldbescheide dann automatisch.

Die Bargeldreform scheint Modi nur noch beliebter gemacht zu haben, vor allem in der Mittelschicht, und die Menschen glauben, dass er mit seinen Reformen Erfolg haben wird. Er hat einen gewissen Optimismus im Land verbreitet. Seiner Partei, der BJP, gelangen bei den jüngsten Regionalwahlen mehrere wichtige Siege, was darauf hindeutet, dass er nach den nächsten Parlamentswahlen 2019 seinen Premierminister-Posten bis 2024 behalten dürfte.

Der entstandene Optimismus muss sich nun in höheren Unternehmensinvestitionen widerspiegeln. Es werden zu wenige Arbeitsplätze geschaffen, und die meisten Investitionsausgaben kommen von der Regierung. Alleine kann sie die Wirtschaft, die pro Jahr um rund 7,5 Prozent steigen soll, jedoch nicht genug stützen. Doch selbst hier gibt es Anzeichen der Hoffnung: Die Inder haben vermehrt Geld in inländische Aktien investiert.

Indien hat noch einen langen Weg bis zur bargeldlosen Wirtschaft vor sich, aber die Demonetarisierung hat dazu geführt, dass die Inder weniger Bargeld verwenden. Drei bis vier Jahre wirtschaftlicher Entwicklung wurden in ebenso viele Monate gepresst. Und dank der stetig steigenden Zahl digitaler Transaktionen konnte auch die Steuerhinterziehung teilweise bekämpft werden. Modis Entschlossenheit, das System zu verändern, die Korruption zu vermindern und einen grösseren Teil der Wirtschaft transparent zu machen, dürfte sich langfristig auszahlen."

Venkatesh Sanjeevi, Senior Investment Manager, Pictet Asset Management

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