Lassen sich Börsenkurse prognostizieren?

Globale Aktien haben sich zuletzt verteuert und sind fundamental gesehen rund 10-15 Prozent überbewertet. Es besteht aber ein starker Zusammenhang zwischen dem geglätteten KGV und den zukünftigen Renditen einer Börse, so eine Studie im Zeitraum 1881-2004. Damit wären Prognosen bis ins Jahr 2022 möglich. Funds | 05.03.2007 06:34 Uhr
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der deutsche Aktienindex hat sich in den letzten vier Jahren seit seinem Tiefstand im März 2003 mehr als verdreifacht. Allein im Jahr 2006 wurden 22 Prozent Wertzuwachs erzielt. Bedauerlich nur, dass kaum ein Anleger davon profitiert hat. Die jüngste BVI-Statistik dokumentiert, dass die deutschen Anleger 2006 Nettoverkäufer von Aktienfonds waren. Mehr als 5 Mrd. Euro wurden abgezogen.

Dass viele Investoren häufig zum falschen Zeitpunkt ein- und aussteigen oder in den falschen Bereichen investieren, ist dabei keine Seltenheit. Noch immer leiden zahlreiche Anleger an den schmerzhaften Kursverlusten der Jahre 2000-2003. Prozyklische Kaufempfehlungen und völlig überzogene Prognosen haben die Depotwerte vieler Investoren dramatisch reduziert. So notieren deutsche Aktien noch immer unter ihren alten Höchstständen – viele der damals favorisierten New-Economy-Unternehmen sind völlig wertlos. Ganz anders die Situation in ehemals weniger beachteten Aktienmärkten wie Österreich, Australien oder Südafrika: Engagierte Anleger überstanden die Kursrückschläge hier nahezu unbeschadet und erfreuten sich an überdurchschnittlichen Wertzuwächsen. Auch brasilianische und russische Aktien haben alte Tiefststände zum Teil schon vor Jahren hinter sich gelassen.

Diese extrem großen Unterschiede in punkto Wertentwicklung werfen die Frage auf, ob sich Aktienmärkte nicht verlässlicher prognostizieren lassen. Zuverlässige Aktienmarktprognosen würden nicht nur lukrative Gelegenheiten aufdecken und vor schmerzlichen Verlusten schützen: Es ist allgemein bekannt, dass nicht die Auswahl einzelner Aktien sondern vielmehr die Gewichtung unterschiedlicher Asset-Klassen und Regionen den größten Teil einer Portfolio-Rendite ausmacht.

Value schlägt Growth

Doch wie lassen sich die aussichtsreichsten Märkte aufspüren? Auf Unternehmensebene ist sich die akademische Welt mittlerweile einig: Niedrig bewertete Value-Aktien erzielen langfristig die höheren Wertzuwächse (siehe auch "Niedrig bewertete Aktien machen das Rennen" vom 8.7.2005). Bedeutender ist jedoch die Frage, ob sich diese Effekte auch auf Gesamtmarktebene nutzen lassen - also ob sich eine Investition in niedrig bewertete Aktienmärkte ebenso auszahlt.

Aktuelles KGV kein gutes Prognose-Tool

Um dies herauszufinden, untersuchten wir den Zusammenhang zwischen dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P500 und zukünftigen S&P500-Renditen im Zeitraum von 1881-2004. So besteht entgegen der geläufigen Meinung kaum ein Zusammenhang zwischen dem aktuellen Markt-KGV und der Kursentwicklung des Folgejahres. Auf Jahre hoher Bewertungen folgten genauso oft steigende wie auch fallende Renditen. Als Prognoseinstrument ist das KGV auf Basis aktueller Gewinne deshalb völlig ungeeignet - insofern kann es kaum überraschen, dass unzählige derart begründete Prognosen nichts taugen. Selbst KGVs auf Basis korrekt geschätzter zukünftiger Unternehmensgewinne – eine in der Praxis kaum zu prognostizierende Größe - stehen in keinem verwertbaren Zusammenhang mit zukünftigen Renditen. Grund hierfür ist, dass die jährlichen Index-Gewinne sehr starken Schwankungen unterliegen. So wurden im S&P500 2003 nahezu doppelt so hohe Gewinne wie 2002 ausgewiesen. Aktuelle Gewinnniveaus und Gewinnwachstumsraten sind deshalb nur selten repräsentativ für zukünftige Entwicklungen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die gebräuchlichen Markt-KGVs keine verlässlichen Börsenprognosen erlauben.

1874-2004: Reales Gewinnwachstum bei 1,6 Prozent p.a.

Doch die prognoseschädlichen Gewinnschwankungen lassen sich reduzieren: Betrachtet man sich die reale Gewinnentwicklung des S&P500 von 1874-2004, so zeigt sich, dass die Gewinne langfristig relativ stabil um jährlich 1,6 Prozent wuchsen. Zwar traten immer wieder Phasen über- bzw. unterdurchschnittlicher Wachstumsraten auf - nachhaltig waren diese Abweichungen vom Durchschnitt jedoch nie. Selbst produktivitätssteigernde Innovationen wie die Eisenbahn, die Elektrizität oder das Computer- und Internetzeitalter hatten bislang keinerlei Auswirkungen auf das langfristige Gewinnwachstum.

Schon Benjamin Graham verwendete geglättete KGVs

Schon Benjamin Graham hatte deshalb die Theorie, dass man nicht aktuelle sondern einen mehrjährigen Durchschnitt historischer Gewinne zur Berechnung des KGVs heranziehen sollte. In dessen Anlehnung berechnen wir deshalb das Aktienmarkt-KGV indem wir den aktuellen Marktpreis durch die mittleren (realen) Unternehmensgewinne der vorausgehenden zehn Jahre dividieren (KGV10). Obwohl dieses geglättete KGV10 nach unseren Untersuchungen auch keine kurzfristigen Aktienmarktprognosen erlaubt, so lassen sich damit jedoch relativ zuverlässige Renditeprognosen für die folgenden 10-15 Jahre erstellen. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, folgten hohe Renditen ausschließlich auf Jahre niedriger Bewertungen, während hohe Bewertungsniveaus stets niedrige oder gar negative Renditen zur Folge hatten. Mit einer Korrelation von -0,73 und einem Bestimmtheitsmaß R2 von 0,49 besteht ein stärkerer Zusammenhang als zwischen den jährlichen Renditen des DAX und S&P500 im Zeitraum von 1973-2004.

USA: Durchschnittliches KGV bei 16

Damit lassen sich insbesondere im Falle extremer Bewertungsniveaus zuverlässige Renditeprognosen erstellen. So ein Beispiel am S&P500: Das geglättete KGV10 bewegte sich im Beobachtungszeitraum von 1881-2004 bis auf wenige Ausnahmen relativ konstant in einer Spanne zwischen 10 und 20 und kehrte dabei regelmäßig zu seinem historischen Durchschnittswert von 16 zurück. Lediglich viermal brach es deutlich aus dieser Bandbreite nach oben aus: 1901, 1929, 1966 und 2000. Jedes dieser Jahre markiert bedeutende Höchststände des S&P500. Auf 1901 folgte eine Dekade der Kursstagnation, bevor ein Börsencrash den S&P500 um weitere 70 Prozent einbrechen lies. Auf 1929 folgte der Crash des Jahrhunderts – real erreichte der S&P500 erst 1958 wieder das 1929er Kursniveau. Auch auf 1966 folgten niedrige Renditen: der S&P500 verlor in den folgenden 16 Jahren über 60 Prozent seines Wertes.

Zu all diesen Höchstständen glaubte man, dass alte Bewertungsmaßstäbe nicht mehr gelten würden. Vor rund 100 Jahren wurden  Hochgeschwindigkeitszüge, die kostengünstigere Massenproduktion und die Verbreitung des Telefons angeführt. 1929 schienen Monopole und zahlreiche technologischen Neuerungen alte Bewertungsmaßstäbe außer Kraft zu setzen. Auch in den 60er Jahren klangen höhere Bewertungen in Folge eines verbesserten Wirtschaftsverständnisses, der Abkehr vom Goldstandard oder den produktivitätssteigernden Auswirkungen der ersten Computer nachvollziehbar. Doch die Mehrzahl der Investoren irrte: sowohl Bewertungsniveaus als auch Gewinn- und Produktivitätswachstumsraten kehrten letztendlich immer wieder zu ihren historischen Durchschnittswerten zurück.

Während hohe KGV10s und „neue Bewertungswelten“ stets niedrige Renditen ankündigten, folgten auf niedrige KGV10s und pessimistische Marktstimmungen langfristig überdurchschnittliche Wertsteigerungen. Im S&P500 unterschritt das KGV10 nur dreimal den Wert von 10: 1917, 1932 und 1980. Jedes dieser Jahre markiert historische Tiefsstände des S&P500 – hohe Renditen von durchschnittlich 10 Prozent p.a. folgten über die folgenden 15 Jahre.

Modell funktioniert auch international

Der Zusammenhang zwischen KGV10 und langfristigen Aktienmarktrenditen ist dabei kein US-spezifisches Phänomen. Wir konnten ähnliche Zusammenhänge in zahlreichen weiteren internationalen Aktienmärkten feststellen. Denn es wird ersichtlich, dass auf niedrige KGV10-Niveaus von unter 8 stets beeindruckend hohe Realrenditen von durchschnittlich 12 Prozent über die nächsten 15 Jahre folgten. Selbst im ungünstigsten Fall wurden auf ein KGV10-Niveau von unter 8 noch immer Realrenditen von über 6 Prozent über die folgenden 15 Jahre gemessen. Dem gegenüber stagnierten hoch bewertete Märkte zukünftig. Im Mittel folgten auf KGV10-Niveaus von über 32 lediglich Renditen von -2 Prozent über die folgenden 15 Jahre. Japanische Aktien verdeutlichen diesen Zusammenhang besonders anschaulich: Das KGV10 des japanischen Aktienmarktes kletterte 1989 über 80 - reale Wertverluste von jährlich -4 Prozent waren für engagierte Investoren die Folge.

Fazit

Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich zwei eindeutige Empfehlungen ableiten:

  1. Einerseits empfiehlt es sich, auf Aktienmärkte mit niedrigen KGV10 zu setzen.
  2. Andererseits sollte man Aktienmärkte mit hohen Bewertungsniveaus meiden.

Österreich und Japan als Hauptverlierer bis 2022

Tabelle 2 stellt die geglätteten KGV10 und die entsprechenden Renditeprognosen für eine Auswahl internationaler Aktienmärkte dar. Die Aktienmärkte haben sich in den letzten Jahren durch die Aufwärtsbewegung verteuert. Fundamental gesehen, sind wir derzeit global ca. 10-15 Prozent überbewertet. Wir erwarten zwar keinen Crash aber die traumhaften Renditen von 2003 bis heute neigen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Ende entgegen. Die Herausforderung der Zukunft sehen wir darin, die noch verbliebenen attraktiven Regionen aufzuspüren. Neben Thailand erscheinen noch einige europäische Märkte wie Deutschland, die Niederlande oder Großbritannien relativ günstig. Dem gegenüber empfiehlt sich eine Untergewichtung von Kanada, Japan, Norwegen, Schweiz und den USA. In jedem dieser Märkte liegt das geglättete KGV10 weit über seinem historischen Durchschnittswert.

Österreich hat dabei in den letzten Jahren den Idealverlauf im Screening vollzogen. 2000 war der Markt mit einem geglätteten KGV10 von  16 einer der attraktivsten etablierten Märkte überhaupt. Kaum ein Markt war damals - gemessen an seinen 10-Jahresgewinnen - noch mit unter 20 bewertet. Anleger überstanden die Phase des Börsencrashs von 2000-2003 auch deshalb relativ unbeschadet. In den letzten Jahren hat sich diese Unterbewertung in Folge des Kursanstieges jedoch abgebaut. Das aktuelle KGV fällt mit 18 auf Grund des extrem hohen Gewinnwachstums zwar noch recht moderat aus. Solche Wachstumsraten lassen sich jedoch nur selten längerfristig aufrecht erhalten, weshalb Österreich aktuell schon recht teuer erscheint. Die relativ hohe Bewertung wird auch an anderen Kennzahlen wie dem Kurs-Buchwert-Verhältnis (2,8) oder der Dividendenrendite (1,5%) deutlich. Auch diese Indikatoren sprechen gegen stärkere Engagements in Österreich.

Wir nutzen diese Erkenntnisse in unseren beiden internationalen Aktienfonds StarPlus Starpoint und StarCap Priamos, indem wir gezielt Übergewichte in unterbewerteten Regionen schaffen und Engagements in teureren Märkten meiden.



Quellen:

  • Campbell, John Y. / Shiller, Robert J., Valuation Ratios And
    The Long-Run Stock Market Outlook, The Journal of Portfolio
    Management, Winter 1998, S. 11 - 26.
  • Gordon, Robert J., Does the ,New Economy’ Measure up to
    the Great Inventions of the Past?, NBER Working Paper
    W7833, August 2000.
  • Gordon, Robert J Has the “New Economy” Rendered the
    Productivity Slowdown Obsolete?, Revised Version, http://
    faculty-web.at.nwu.edu/economics/gordon/indexmsie.html ,
    June 1999.
  • Graham, Benjamin / Dodd, David L., Security Analysis, Mc-
    Graw Hill 1934.
  • Malkiel, Burton, Börsenerfolg ist (k)ein Zufall, Finanzbuch
    Verlag 2000.
  • Shiller, Robert J., Irrational Exuberance, Princeton University
    Press, Princeton New Jersey 2000.

Soweit nicht anders angegeben: Thomson Financial Datastream sowie eigene Berechnungen.


Norbert Keimling ist bei der Huber Portfolio AG als Prokurist verantwortlich für fundamentale Screeningmodelle und antizyklische Investitionsentscheidungen. Weitere Informationen finden Sie unter www.huber-portfolio.de


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