Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen Monaten zu einer Hauptsorge geworden. Andreas Utermann, Global CIO von RCM, einer Gesellschaft von Allianz Global Investors, fasst die Situation zusammen: „Der Staatsbankrott großer Länder konnte zwar abgewendet werden. Aber das Schreckgespenst der Umschuldung oder sogar der Zahlungsausfall einiger kleinerer Euro-Peripherieländer verfolgt weiterhin die Märkte.“ Bis sich eine tragfähige Lösung für die Schuldenproblematik abzeichnet, könnte sich die Zeit heilend auswirken, sofern sich das nominale Wachstum in Europa weiter stabilisiert.
Die Experten von RCM haben weltweit unterschiedliche Reaktionen auf haushaltspolitische Zwänge festgestellt. Die europäischen Nationen, einschließlich Großbritannien, haben einen Sparkurs mit einer Mischung aus Ausgabensenkungen und Steuererhöhungen eingeschlagen. Damit werden langfristige Re-Finanzierungskosten gering gehalten und mittelfristig Investitionen möglich, was letztendlich die Glaubwürdigkeit der Finanzmärkte stärkt.
Während in einigen europäischen Ländern wie Deutschland und Schweden sogar Spielraum für Steuersenkungen entstehen könnte, bewertet Utermann die Situation in den USA kritischer: „Die steuerliche Expansion in Kombination mit einer weiteren Quantitative Easing-Runde (QE2) könnte das Vertrauen in den US$ weiter belasten.“ Er befürchtet, dass die Kreditwürdigkeit der USA im kommenden Jahr noch stärker hinterfragt werden könnte, wenn der Staatshaushalt mittelfristig nicht ausgeglichen werden kann.
Volatile Märkte mit Gefahr von Spekulationsblasen
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat in den vergangenen Monaten einige ihrer unkonventionellen Maßnahmen zu Liquiditätsbereitstellung reduziert. Gleichzeitig stellt sie dem Bankensystem weiterhin uneingeschränkt kurzfristige Mittel zur Verfügung. Dagegen hat die Federal Reserve Bank (FED) eine weitere Rückkaufrunde von US-Staatstiteln gestartet, um die Preise für Vermögenswerte anzuheben. Damit verbundene Risiken, wie beispielsweise das einer Blasenbildung bei Rohstoffen, werden scheinbar für überschaubar gehalten. Utermann ist besorgt, dass diese Vorgehensweise eine Verzerrung der Kapitalkosten verursachen und schließlich zu Fehlallokationen sowie geopolitischen Spannungen führen könnte.
Auf dieser Basis erwartet Utermann anhaltend volatile Kapitalmarktbewegungen, die vor allem in Bereichen wie Rohstoffen und Schwellenländer-Immobilien Potenzial für Spekulationsblasen haben.
Steigender Inflationsdruck zunächst in Schwellenländern
Inflation wird in absehbarer Zukunft noch kein Problem darstellen, da die disinflationären Kräfte nach Meinung von RCM noch erheblich sind. Utermann geht davon aus, dass 2011 von divergierenden Inflationstendenzen gekennzeichnet sein wird: “Wir erwarten eine anhaltend gebremste Inflation im Wunschbereich der Zentralbanken in den höher verschuldeten Ländern und höhere Raten in Volkswirtschaften mit über dem Trend liegendem Wachstum.“
Es bestehen nach wie vor beträchtliche Produktionslücken in UK, Japan und den US sowie in den meisten Volkswirtschaften der Euro-Zone. Kurzfristig ist das Deflationsrisiko in einigen dieser Ländern höher als das Risiko von Inflation. Angesichts der immer noch prekären Situation des Finanzsystems, des hohen Niveaus der privaten Verschuldung und der nach wie vor extrem angespannten Immobilienmärkte in den USA, Großbritannien, Spanien und Irland haben finanzpolitische Anreize nicht zu einer höheren Kreditvergabe geführt.
Auf der anderen Seite haben Schwellenländer ihre BIP- Wachstumsraten z. T. sogar noch verbessern können, was in Kombination mit einer weltweit lockeren Geldpolitik auf die Inflationsraten dort und in ressourcenreichen Volkswirtschaften wie Australien drückt. Utermann rechnet in den Schwellenländern mit einer Fortsetzung der straffen Geldpolitik.
Die strategische Bedeutung von Schwellenländern wächst weiter
Generell unterstreicht der globale CIO von RCM, dass sich die makroökonomische und politische Bedeutung der Schwellenländern nach der Krise endgültig geändert hat. Sie werden im weltweiten politischen und finanziellen Gefüge eine immer bedeutendere Rolle spielen. Auf der Basis des Wachstums in Brasilien, China und Indien konnten die OECD-Volkswirtschaften vor einem Double-Dip-Szenario bewahrt werden. Die strategische Bedeutung der Schwellenländer für das wirtschaftliche Gleichgewicht wird nach Einschätzung Utermanns 2011 weiter wachsen und damit auch der Einfluss von G20.
Ein säkularer Aufwärtstrend der Inflation wird sich erst nach 2011 abzeichnen.
Währungen und Handel
Die globalen Ungleichgewichte aus massiven Staatsschulden westlicher Nationen und steigenden Sparquoten in anderen Teilen der Welt wurden zuletzt auf dem jüngsten G20 Gipfel als Ursache der Finanzkrise betont. Eine Einigung, neben Leistungsbilanzdefiziten auch Überschüsse zu beschränken, konnte nicht erzielt werden. Nach Meinung von RCM hängt die Korrektur des Ungleichgewichts damit maßgeblich von Währungsauf- und abwertungen ab.
Dazu müssen China und Deutschland die Binnennachfrage stärker ankurbeln als momentan prognostiziert wird. Eventuelle Steuerreduzierungen im Vorfeld der Wahlen in Deutschland 2012 sowie weiteren Verbesserungen im chinesischen Sozialversicherungssystem, die niedrigere Sparquoten zur Folgen haben sollten, könnten diese Entwicklung unterstützen.
Kapitalmarktaussichten
Aktien
Die Märkte werden von positiven Gewinn-Überraschungen sowie anhaltendem Wachstum in den Emerging Markets und dem jüngsten Konjunkturprogramm der FED befeuert. So notieren sie bereits über den Vor-Lehman-Niveaus, aber unter nominalen und vor allem realen Aspekten dennoch signifikant unter früheren Spitzen.
„QE2 wird auch über die kommenden Monaten für Rückenwind sorgen, aber ich rechne auch mit einer zwischenzeitlichen Rückkehr zur Risikoscheu.“, meint Utermann. Auslöser könnten beispielsweise Spannungen in Politik, im Handel oder Ängste aufgrund von Staatsverschuldungen sein. „Das wäre meines Erachtens eine weitere gute Gelegenheit für Anleger, die einen Teil der Erholung verpasst haben und Aktienpositionen langfristig aufbauen wollen.“ Auch wenn Utermann es im aktuellen Konjunkturumfeld für unwahrscheinlich hält, dass die Kurstiefstände der vergangenen Monate wieder erreicht werden. Da die Anleiherenditen in den OECD –Ländern keinen Schutz vor Inflation bieten, Immobilienpreise gedrückt sind oder sich wie Rohstoffe zu einer Spekulationsblase entwickeln könnten, scheinen Aktien momentan als beste Alternative für Investoren.
RCM bevorzugt dabei qualitativ hochwertige Unternehmen mit überdurchschnittlicher Dividendenrendite und Unternehmen, die am Wachstum in den Schwellenländern partizipieren. Auch wenn das Potenzial nicht notwendigerweise mit dem von direkten Schwellenländeraktien gleichzusetzen ist. Vorsichtig sind die Experten nach wie vor bei Finanztiteln. Die Präferenzen könnten sich im Fall einer akuten Risikoaversionsperiode umkehren, während der sich Schwellenländeraktien unterdurchschnittlich entwickeln könnten.
Zinssätze und Renten
Für 2011 rechnet RCM nicht mit größeren Bewegungen bei kurzfristigen Zinssätzen in den wichtigsten OECD-Volkswirtschaften, aber mit einer schrittweisen Straffung in den Schwellenländern. Vorsichtig sind die Experten bei mittel- bis langfristigen Laufzeiten von erstklassigen Staatsanleihen wie US Treasuries und Bunds, da sie die Titel aufgrund der QE-Maßnahmen und der übertriebenen Risikoaversion im Bereich der EMU-Peripherieanleihen für überbewertet halten.
Währungen
Kurzfristig sieht das RCM Team weiterhin Stabilisierungschancen des US$ gegenüber dem Euro. Längerfristig rechnen sie mit einer nominalen und vor allem realen Aufwertung von Schwellenländer-Währungen vor allem gegenüber dem US$, aber in geringerem Maße auch gegenüber dem Euro.