"In Deutschland werden die niedrigen Zinsen überwiegend negativ gesehen, schlecht für Sparer, Banken, Versicherungen und die Finanzstabilität. Die EZB gilt als hauptverantwortlich für die tiefen Zinsen, die laut Bundesfinanzminister auch den Erfolg der AfD mit erklären. Nullzinsen dürften in Deutschland etwa ebenso unbeliebt sein wie der künftige US-Präsident Trump. Aber ausgerechnet er kann für markant höhere Zinsen sorgen. Die vergangene Woche hat einen Vorgeschmack darauf geboten.
Auf den Finanzmärkten währte der Schreck über den Ausgang der US-Wahl nur kurz. Die Investoren kamen schnell zu der Einschätzung, dass der künftige Präsident moderater sein wird als es der Kandidat war. Ob das bloße Hoffnung ist oder berechtigte Erwartung – wer weiß. Jedenfalls beendete der S&P 500 die Woche um 3.8% höher als die Vorwoche, und die Rendite 10-jähriger Treasuries schoss um 33 Basispunkte in die Höhe, bei Bundesanleihen war es 17. Auf dem niedrigen Renditeniveau sind das gewaltige Kursbewegungen.
Was Trump genau vor hat und durchsetzen kann, ist noch ungewiss, aber die Staatsausgaben könnten deutlich steigen, z.B. die für Infrastrukturprojekte, finanziert durch höhere Verschuldung. Die US-Wirtschaft liefe 2017/18 heiß. Die Fed würde das Tempo der Zinsanhebungen deutlich anziehen, zumal unter einem neuen, inflations-averseren Fed-Chef (John Taylor?) ab Anfang 2018. Bis es zu einer Stabilisierungsrezession kommt, würden alle Zinsen steigen, bei den langen Laufzeiten von heute 2% auf vielleicht 4% bis 5%. Im historischen Vergleich wäre das immer noch kein hohes Zinsniveau, aber was den Anstieg betrifft ähnlich wie in den „Schockjahren“ 1994 und 1999. Wenn 10-jährige Bundesanleihen den Anstieg zur Hälfte mitmachen, landet die Rendite bei 1% bis 2%. Spürbar mehr wird es, wenn die EZB gleichzeitig zu einem restriktiveren Kurs übergeht.
Es mag sein, dass die Konjunktur in Europa einen Zinsanstieg zunächst verkraftet, zumal bei stärkerer Importnachfrage aus den USA und einem schwächeren Euro. Aber wie sieht es mit der politischen Verkraftbarkeit aus? Wie viele geschrieben haben, dürfte die Wahl Trumps den EU- bzw. Euro-kritischen Parteien in Europa Auftrieb geben. Schon in einem halben Jahr können in Frankreich und Italien solche Regierungen am Ruder sein. Die labile wirtschaftliche Lage machte den Euroraum anfällig für politische Schocks, die die Finanzmärkte sehr wahrscheinlich weniger gut verkraften würden als die Wahl in den USA. Wenn der Fortbestand der Währungsunion in Gefahr gerät, wird die Freude über höhere Zinsen rasch verfliegen, denn die Auswirkungen eines Zusammenbruchs wären weit schwerwiegender als entgangene Zinsen."