Ewald Nowotny bringt es auf den Punkt
Österreichs Nationalbank-Präsident Nowotny hat es heute klipp und klar gesagt wie es ist: Die Griechenland-Frage ist vor allem eine politische, keine ökonomische. Soll heißen, nicht volkswirtschaftliche Kriterien entscheiden über den Verbleib des Landes in der Währungsunion, sondern es wird politisch entschieden. Das war beim Beitritt Griechenlands zur Währungsunion nicht anders, die Folgen sind bekannt. Was ökonomisch falsch ist, kann auf Dauer politisch nicht funktionieren, es rächt sich irgendwann.
Verhandlungen stecken weiter fest
Griechenland kann m.E. als Euro-Mitglied die Kurve kriegen, ein Austritt macht Reformen jedenfalls nicht wahrscheinlicher. Nach allem, was man liest, stecken die Verhandlungen weiter fest. Die griechische Regierung will einen möglich geringen Preis für die Auszahlung der letzten Tranche des zweiten Rettungsprogramms zahlen. Nur geht ihr das Geld aus, wann genau ist allerdings nicht bekannt. Dafür weiß man, welche Zahlungen an die Gläubiger demnächst anstehen; die Financial Times hat dazu eine Übersicht veröffentlicht. Die Kreditgeber beharren auf konkreten Reformzusagen in den Bereichen Steuern, Arbeitsmarkt und Pensionen. Diesmal geht es „nur“ um rund EUR 7 Mrd. Wie lange werden sich die Verhandlungen wohl hinziehen, wenn es um ein drittes Hilfsprogramm von vielleicht EUR 30 Mrd geht?
Phase der Unsicherheit über die Zukunft der EU?
Ökonomisch gesehen ist die griechische Verhandlungsposition schlecht, denn die Kreditgeber sitzen am längeren Hebel, und die EZB hat Instrumente, um eine Ansteckung anderer Länder eng zu begrenzen. Politisch hat die neue griechische Regierung in Europa viel Kredit verspielt, aber Ende letzter Woche könnte sich das Blatt gewendet haben, und zwar durch die Wahl in Großbritannien. Die Britten haben konservativ gewählt – warum nicht, denn die Wirtschaft läuft. Aber die Schotten haben durch und durch schottisch gewählt, und das kann das Vereinige Königreich spalten. Hinzu kommt das geplante Referendum über die EU-Mitgliedschaft 2017 oder früher. Dessen Ausgang ist nicht prognostizierbar. Somit hat eine Phase der Unsicherheit über die Zukunft der EU begonnen.
Grexit wäre ein Unfall, Brexit ein Desaster
Griechenland hat einen Anteil von 1,9% am BIP des Euroraums und 1,4% am BIP der EU. Großbritanniens Anteil am EU-BIP liegt bei 14,5%, es geht also so gesehen um viel mehr. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion wäre politisch ein beträchtlicher Unfall, ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU aber wäre politisch ein Desaster. Kann sich die EU beides leisten? Wohl nicht. Es kann gut sein, dass der Wahlausgang auf der Insel die Neigung zum politischen Kompromiss mit Griechenland erhöht hat – was nicht unbedingt gut für die griechische Wirtschaft und die Stabilität des Euroraums ist.
Dr. Holger Sandte
Chief European Analyst
Nordea
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