Inflation – tot oder nur vergessen?

Viele Ökonomen und Beobachter sind der Meinung, die Weltwirtschaft stehe am Rand der Deflation, doch Michael Hasenstab, CIO von Templeton Global Macro, ist anderer Ansicht. In einem neuen Kommentar erklärt er, warum er und sein Team glauben, dass Deflationssorgen fehlgeleitet sind und dass ein Wiedererstarken der US-Wirtschaft entscheidend für globales Wachstum ist. Franklin Templeton | 22.02.2016 09:52 Uhr
Dr. Michael Hasenstab, Chief Investment Officer, Templeton Global Macro / ©  Franklin Templeton
Dr. Michael Hasenstab, Chief Investment Officer, Templeton Global Macro / © Franklin Templeton
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Sie können sich hier die Zusammenfassung zu Michael Hasenstabs Ansichten zur Inflation in einem kurzen Video ansehen: Global Macro Shifts: Ausblick Inflation 

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Michael Hasenstabs vollständiger Kommentar:

"Die US- und die globale Wirtschaft befinden sich mittlerweile im sechsten Jahr ihrer Erholung nach der globalen Finanzkrise, und ihr Wachstum hat sich als widerstandsfähig gegenüber einer Reihe von Schocks erwiesen. Trotzdem prägt nach wie vor weit verbreiteter und tief sitzender Pessimismus die wirtschaftliche Debatte und die Dynamik an den Finanzmärkten.

Vielleicht am besten verkörpert wird dieser Pessimismus durch die von einem früheren US-Finanzminister und vielen anderen wiederbelebte Hypothese einer „dauerhaften Stagnation“. Kurz gesagt postuliert diese Hypothese, dass die Weltwirtschaft unter einem strukturellen Mangel an Gesamtnachfrage und einem chronischen Überhang der Sparwünsche gegenüber den Investitionswünschen leidet. Die Folge davon wäre ein dauerhaft niedriges Wachstums-, Inflations- und Zinsniveau. Tatsächlich haben verschiedene Ökonomen und Beobachter wiederholt die Gefahr angesprochen, die Weltwirtschaft könne in Stagnation und/oder Deflation abrutschen.

Wir sind der Meinung, dass die Sorgen um weltweite Deflation unbegründet sind. In einer Reihe von Schwellenländern ist die Inflation hoch und liegt oberhalb ihrer Zielwerte. Gleichzeitig wurde in vielen Industrieländern die Gesamtinflation durch den plötzlichen Einbruch der Rohstoffpreise gedrückt. Jedoch ist das ein vorübergehender Effekt, und die Kerninflation ist nach wie vor stabil. Wie unsere ökonometrischen Analysen zeigen, spielen globale Faktoren eine dominierende Rolle für die Inflationsentwicklung in den einzelnen Ländern. Unsere Berechnungen zeigen, dass sich die globale Produktionslücke allmählich vergrößert, und im Zuge der Erholung in den Schwellenländern dürfte sich diese Entwicklung fortsetzen, was Aufwärtsdruck für die Inflationsraten bedeutet.

Die USA sind nach wie vor der wichtigste Motor für die Weltwirtschaft. Die dortige Inflationsdynamik und ihre Bedeutung für die Renditeniveaus zu verstehen, ist deshalb entscheidend für die Prognosen zur weltweiten Entwicklung. Den zentralen Teil unseres neuesten Beitrags aus der Reihe Global Macro Shifts, „Inflation: Tot – oder nur vergessen? haben wir deshalb einer detaillierten Analyse der Lohn- und Inflationstrends in den USA gewidmet.

Der US-Arbeitsmarkt steht unserer Einschätzung nach kurz vor der Vollbeschäftigung, und noch vorhandene Überkapazitäten werden rasch wieder absorbiert. Das Wachstum der Durchschnittslöhne ist trotzdem mäßig geblieben, was oft als Beleg dafür angeführt wird, dass die Inflation extrem niedrig bleiben wird. Unseren Analysen zufolge beschleunigt sich der Lohnzuwachs, gemessen an unserem zusammengesetzten Maß für den Lohndruck, jedoch allmählich. Außerdem zeigen wir, dass sich die am stärksten mit dem Lohnzuwachs korrelierenden Arbeitsmarktkennzahlen wie etwa die Kündigungsquote stetig verbessern. Unsere Modelle lassen bei den herrschenden Konjunkturbedingungen bereits erwarten, dass das Lohnwachstum in Richtung 2,7% tendieren müsste. Dies ist von Bedeutung, denn eine stärkere Lohndynamik kann den Privatkonsum und die Gesamtnachfrage dauerhaft stützen.

Weiter zeigen unsere Analysen, dass die Phillips-Kurve, eine grafische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosenquote und Inflation, in den USA seit 2006 steiler geworden ist – anders als allgemein angenommen. Demnach müsste sich der anhaltende Rückgang der Arbeitslosenquote in stärkerem Inflationsdruck bemerkbar machen. Die Rückkehr der Inflation dürfte unterstützt werden von einer Stabilisierung der Rohstoffpreise, die eine Umkehr des disinflationären Impulses von 2015 bedeuten würde. Außerdem schätzen wir, dass eine weitere Dollaraufwertung nur mäßig dämpfend wirken und höchstens 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte weniger Gesamtinflation mit sich brächte. Nach unserem ökonometrischen Modell wird die Gesamtinflation nach dem Verbraucherpreisindex (VPI) bis zum vierten Quartal 2016 auf 2,2% steigen, was deutlich über dem Ziel der US-Notenbank (Fed) und den Markterwartungen liegt. Ebenso bestätigen unsere Analysen, dass die Inflationserwartungen eine wichtige Rolle für die Inflationsentwicklung spielen, was die Bedeutung der Glaubwürdigkeit von Zentralbanken einmal mehr hervorhebt.

Während die Fed eine beispiellose Normalisierung ihrer Politik betreibt, sollten wir nicht das Ausmaß der Ungleichgewichte und Verwerfungen vergessen, die durch mehrere Jahre Nullzinspolitik und quantitative Lockerung entstanden sind. Als Reaktion auf die globale Finanzkrise haben die Zentralbanken in den USA, der Eurozone und Japan ihre Bilanzen massiv erweitert. Gleichzeitig sind die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes[1] und der Geldschöpfungsmultiplikator[2] rapide gefallen, was eine plötzliche Entschuldung und ein Einfrieren des Finanzsystems erkennen lässt. Wenn Umlaufgeschwindigkeit und Geldmengenmultiplikatoren wieder auf ihre Vorkrisenniveaus steigen, würde dies eine deutliche Zunahme der Inflation in den deutlichen zweistelligen Bereich implizieren, selbst wenn die Entwicklung langsam verläuft. Damit wollen wir nicht sagen, dass auf kurze Sicht mit derartigen Preissteigerungen zu rechnen ist. Eine teilweise Korrektur der Umlaufgeschwindigkeit und Geldmengenmultiplikatoren in Richtung der historischen Norm ist jedoch plausibel und würde zusätzlichen Inflationsdruck bedeuten. Das würde wiederum den Prozess der geldpolitischen Normalisierung komplizierter machen.

Sich die Vorkrisenerfahrungen in Erinnerung zu rufen, ist wichtig. Denn die Schlagworte, die die Debatte in den letzten Jahren geprägt haben (neue Normalität und dauerhafte Stagnation), legen nahe, dass die Welt einen neuen Zustand erreicht hat, in dem Wachstum wie Inflation auf absehbare Zeit nur stagnieren können. Und da die globale Finanzkrise direkt im Anschluss an die „Große Moderation“ begann, haben jüngere Generationen von Marktteilnehmern in den Industrieländern eine höhere Inflation noch nie selbst erlebt.

Die Lehren der Geschichte zu vergessen, kann gefährlich sein. Von den späten 1950er Jahren bis Mitte der 1960er Jahre waren Inflation und Inflationserwartungen in den USA niedrig und stabil bei etwa 1%. Ab 1965 setzte bei beiden Werten eine 15 Jahre währende Aufwärtsbewegung ein, die ihren Höhepunkt in einer Gesamtinflationsrate von fast 15% fand. Diese „Große Inflation“, wie sie allgemein genannt wird, wurde ausgelöst von einer Kombination aus negativen Angebotsschocks (insbesondere den Ölschocks 1973 und 1979) und einer Lockerung der Geldpolitik, die zu den Korrekturen des Fed-Inflationsziels nach oben zu passen scheint. Passend zu unseren Erkenntnissen über die entscheidende Bedeutung der Inflationserwartungen scheint der Verlust der Glaubwürdigkeit der Fed bei der Inflationsbekämpfung eine sehr wichtige Ursache für die Große Inflation gewesen zu sein. Es brauchte eine erhebliche und lang anhaltende geldpolitische Straffung, um die Inflation wieder unter Kontrolle zu bekommen, was zu einer Rezession um 2% im Jahr 1982 führte.

Die Zeit der Großen Inflation zeigt, wie gefährlich der Glaube ist, struktureller Wandel habe Inflationsrisiken verschwinden lassen. Eine Kombination von negativen Schocks und politischen Fehlern wie in den späten 1960er und 1970er Jahren halten wir für sehr unwahrscheinlich. Eine moderatere Wiederholung allerdings erscheint durchaus denkbar. Viele einflussreiche Stimmen rufen die Fed dazu auf, die Zinsen extrem langsam zu erhöhen, und jüngste Äußerungen aus dem Offenmarktausschuss (FOMC) der Zentralbank lassen erkennen, dass sie ein deutliches Anziehen der Inflation abwarten möchte, bevor sie das Tempo der Zinserhöhungen steigert. Unterdessen bergen extrem niedrige Preise für Rohstoffe die Gefahr negativer Schocks, wenn auch nur moderater. Dennoch besteht eindeutig das Risiko, dass die Geldpolitik ins Hintertreffen gerät, was eher höhere Inflation für 2016 erwarten lässt.

Bislang signalisiert die Fed eine sehr langsame geldpolitische Straffung: Nach der Median-Erwartung im FOMC wird es 2016 vier Zinserhöhungen um je 25 Basispunkte (Bp) und bis Ende 2018 eine Erhöhung des US-Leitzinses auf 3,3% geben. Diese Entwicklung basiert auf der Annahme, dass das Wirtschaftswachstum selbst dann moderat bleiben wird, wenn am Arbeitsmarkt Vollbeschäftigung erreicht ist, und dass die Inflation das Ziel der Fed von 2% nicht vor Ende 2017 erreicht. Die Finanzmärkte preisen sogar eine noch langsamere Straffung ein. Unsere Modelle sprechen jedoch dafür, dass die Inflation bis Ende 2016 die Erwartungen der Fed übersteigen wird. Dies könnte entweder zu schnelleren Zinserhöhungen führen oder zu der Sorge, dass die Geldhüter der Entwicklung hinterherhinken. Beide Szenarien dürften höhere Zinsen am Markt mit sich bringen.

Nach unseren Analysen liegen die Renditen für lang laufende US-Schatzanleihen zurzeit 130 Bp unter ihrem „normalen“ Niveau, das sich aus ihrer historischen Beziehung zum Wachstum des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ergibt. Entstanden ist diese Lücke durch die Geldpolitik mit sowohl quantitativer Lockerung (QE) als auch Aussagen zur zukünftigen Zinsentwicklung, die kurzfristige Zinsen weniger volatil gemacht haben. Laut unserem Modell dürfte es in Zukunft drei Faktoren geben, die in Richtung höherer Langfristrenditen wirken: (1) Die von uns prognostizierte Zunahme der Inflation bedeutet höheres nominales BIP-Wachstum; (2) wenn Aussagen zur zukünftigen Zinsentwicklung von einer datenorientierten geldpolitischen Straffung abgelöst werden, nimmt die Volatilität bei Kurzfristzinsen zu; und (3) durch die schwindenden Auswirkungen der QE auf den Markt für US-Schatzanleihen werden die langfristigen Renditen sich wieder in Richtung ihres historischen Verhältnisses zum BIP-Wachstum entwickeln. Mittelfristig dürften die langfristigen Renditen, auf der Grundlage der Schätzungen für das potenzielle Wachstum des Haushaltsamtes des US-Kongresses, in Richtung 5% tendieren.

Im zurückliegenden Straffungszyklus der Fed wurden die langfristigen Renditen von etwas begrenzt, was ihr damaliger Vorsitzende Ben Bernanke als „weltweite Sparschwemme“ bezeichnete, also von einem deutlichen Überhang der Sparwünsche gegenüber den Investitionswünschen. Die wichtigsten Treiber hinter diesem Phänomen haben sich jedoch inzwischen abgeschwächt oder sogar umgekehrt: Das Wachstum in China wird stärker auf inländischen Konsum ausgerichtet, und die Devisenreserven des Landes sind zurückgegangen; andere Schwellenländer Asiens haben bereits genügend Devisenreserven, sodass sie keine weiteren Assets ansammeln müssen; und der Verfall des Ölpreises zwingt eine Reihe von Ölexporteuren dazu, weniger zu sparen, um die Anpassung bei den Ausgaben zu verzögern oder abzufedern. Somit ist es unwahrscheinlich, dass globale Trends die langfristigen Renditen in den USA noch einmal begrenzen werden.

Für Global Macro Shifts haben wir eine umfangreiche und detaillierte Analyse der Bestimmungsfaktoren für Inflation in den USA und weltweit erarbeitet. Dazu zählen die jüngste Inflationsentwicklung, eine größer werdende Produktionslücke in den USA und weltweit, die anhaltende Straffung am US-Arbeitsmarkt, der sich rasch der Vollbeschäftigung nähert, Basiseffekte durch extrem niedrige Rohstoffpreise und möglicher Druck durch einen massiven Geldüberhang sowie historisch niedrige Werte bei der Geldumlaufgeschwindigkeit und den Geldmengenmultiplikatoren. All diese Faktoren sprechen zusammen dafür, dass man mit sehr mutigen Annahmen arbeiten müsste, um zu glauben, dass die Inflation auf ihren aktuellen extrem niedrigen Niveaus bleiben wird. Unsere eigenen Inflationsprognosen sind nicht besonders aggressiv, liegen jedoch über der Fed-Konsensprognose und noch deutlicher über dem, was die Finanzmärkte einpreisen. Somit sind wir der Meinung, dass die allgemeine Unterschätzung der zukünftigen Inflation, zusammen mit der abzusehenden Normalisierung beim Zusammenhang zwischen langfristigen Zinsen und dem nominalen BIP-Wachstum, das Feld für eine signifikante Korrektur bei den Renditen von US-Schatzanleihen bereitet."

Dr. Michael Hasenstab
Executive Vice President, Portfolio Manager
Chief Investment Officer
Templeton Global Macro

[1] Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes bezeichnet das Verhältnis von nominalem BIP zur weit gefassten Geldmenge.

[2] Der Geldschöpfungsmultiplikator ist das Verhältnis von weit gefasster Geldmenge zur Geldbasis.

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