Hinweis: Dieser Beitrag ist auch im Blog der Erste Asset Management verfügbar.
"Um diese Frage zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick in Richtung USA. Die anhaltende Verringerung des Rendite-Unterschiedes zwischen lang und kurz laufenden Staatsanleihen (=Kurvenverflachung) ist bemerkenswert. Diese Tendenz könnte auf eine nachlassende wirtschaftliche Dynamik hinweisen.
Weltwirtschaft in Erholungs-Phase – Eurozone beschleunigt
Die Weltwirtschaft wächst mit 3% (Quelle: Eigenangabe Erste AM) etwas über dem langfristig zu erwartenden Wachstum, dem sogenannten Potenzialwachstum. Dem entsprechend fallen die Arbeitslosenraten. Die Weltwirtschaft produziert zwar nach wie vor weniger als sie produzieren könnte. Die sogenannte Produktionslücke wird aber immer weniger negativ. Kurz: die Weltwirtschaft befindet sich seit 2009 in der Konjunkturphase „Erholung“. Die Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes für den Monat Mai zeigen eine Fortsetzung dieses Trends an. Die Eurozone sticht hervor: Hier deuten einige Indikatoren, wie z.B. der Geschäftsklimaindex der Europäischen Kommission, auf eine weitere Beschleunigung des realen Wirtschaftswachstums hin (von 2,0% im ersten auf 2,5% im aktuellen Quartal, Quelle: Bloomberg und Eigenangabe Erste AM).
Spielverderber Asien und USA
Natürlich gibt es auch Haare in der guten Suppe: Einige Indikatoren in Asien (z.B. Industrieproduktion) und in den USA (z.B. Immobilienmarkt) neigen zur Schwäche. Das ist auch an den global fallenden wirtschaftlichen Datenüberraschungen abzulesen. Dieser Trend wird von den beiden vorher genannten Regionen angeführt.
Niedrige Inflation
Die Beschleunigungsphase ist nicht nur beim Wachstum vorüber. Auch die Inflationsraten steigen nicht mehr an. Die zugrunde liegende Inflation bleibt damit auf einem niedrigen Niveau. Wie gering der Inflationsdruck ist, kann auch anhand der Inflationsentwicklung in den USA abgelesen werden. Die Arbeitslosenrate befindet sich mit 4,4% (Quelle: Bloomberg) auf einem tiefen Niveau, dennoch ist die Kerninflationsrate zuletzt sogar gefallen (1,5% im Jahresabstand im April). In der Eurozone verharrt die Kerninflation seit Anfang 2014 bei durchschnittlich 0,8% (Quelle: Bloomberg) mit wenig Anzeichen für einen Anstieg. Auf globaler Ebene fallen aktuell wie bei den wirtschaftlichen Datenüberraschungen auch die Datenüberraschungen hinsichtlich der Inflation. Damit im Einklang sinkt auch die im Anleihemarkt eingepreisten Inflation.
Weniger expansive Geldpolitik
Am 8. Juni wird die Europäische Zentralbank voraussichtlich die Erwartungen für die Einschätzung der zukünftigen Geldpolitik, kurz: die Forward Guidance, in zweifacher Weise ändern. Erstens wird sie die Wirtschaftsrisiken (aktuell: nach unten gerichtet) als ausgeglichen beschreiben. Zweitens könnte der Hinweis abgemildert beziehungsweise sogar aufgegeben werden, wonach die Leitzinsen auch fallen können und das Anleiheankaufsprogramm auch ausgeweitet werden kann. Damit würde sie einen weiteren marginalen Schritt in Richtung der nächsten Reduktion des Anleiheankaufsprogramms setzen.
Weitere Zinsanhebungen in den USA
Für die USA wird am 14. Juni eine weitere Leitzinsanhebung im Ausmaß von 25 Basispunkten auf ein Zielband von 1% – 1,25% erwartet. Zudem deuten die Mitglieder des Offenmarktauschusses den Start für eine vorsichtige Reduktion der Zentralbankbilanz in der zweiten Jahreshälfte an.
Das Niveau der Geldpolitik ist also nach wie vor sehr expansiv. Gleichzeitig zeichnet sich bei den Zentralbanken in den USA und der Eurozone eine weitere moderate Reduktion der Unterstützung ab. Das Wachstum der Zentralbank-Liquidität wird weiter abnehmen.
Verschärfung in China
Das Kreditwachstum in China war in den vergangenen Jahren außerordentlich hoch. Daran hatte das sogenannte Schattenbankensystem einen großen Anteil. Damit im Einklang weisen die Finanzstabilitätsindikatoren auf zunehmende Risiken hin. Nachdem die Deflation vom Jahr 2015 überwunden war, hat sich die Wirtschaftspolitik schrittweise auf die Exzesse im Kreditsektor gerichtet. Die Verschärfung des regulatorischen Umfelds im Finanzsektor hatte unter anderem einen deutlichen Zinsanstieg zur Folge. So ist der Dreimonats-Interbankensatz von 2,8% (Anfang September 2016) auf aktuell 4,6% geklettert (Quelle: Bloomberg). Im Kern geht es um richtige Balance zwischen Luft aus dem Schattenbankensystem lassen (Deleveraging) und ausreichender Liquiditätsversorgung für die gesamte Volkswirtschaft. Bis dato gibt es wenig Hinweise für eine markante Abschwächung des Wachstums. Beachtenswert sind der fallende Trend des Einkaufsmanagerindex für den Fertigungssektor seit Jahresanfang und die rückläufigen Rohstoffpreise für Metalle.
Politische Unsicherheit
Die politische Unsicherheit bleibt ein wesentlicher Einflussfaktor für die Märkte. In den USA haben die innenpolitischen Probleme der Trump-Administration die Aussicht auf Stimuli reduziert. In Brasilien ist Präsident Temer mit Bestechungsvorwürfen konfrontiert. Das hat zu eingetrübten Hoffnungen auf Strukturreformen (Pensionen, Arbeitsmarkt) geführt. Im Vereinigten Königreich ist vor den Parlamentswahlen am 8. Juni der Vorsprung der konservativen Partei vor der Arbeiterpartei ebenso wie die Aussicht auf einen Soft-Brexit deutlich gesunken. In Italien ist die Wahrscheinlich für vorgezogene Neuwahlen im Herbst angestiegen. Einzig positive Entwicklung: In Frankreich liegt die Bewegung von Präsident Macron vor den Parlamentswahlen am 11. Juni (1. Wahlgang) und 18. Juni (2. Wahlgang) bei den Umfragen in Führung. Es könnte sich sogar knapp eine absolute Mehrheit bei den Mandaten ausgehen.
Finanzmärkte widerstandsfähig
Die Kombination von moderatem Wachstum, niedriger Inflation und marktfreundlicher Geldpolitik erinnert an das „Goldilocks-Prinzip“. In dem populären Märchen „Goldlöckchen und die drei Bären“ hatte ein Brei genau die richtige Temperatur. Dieses Prinzip von „genau richtig“ wird auch für die Beschreibung von volkswirtschaftlichen Daten herangezogen. Bei genauerer Betrachtung findet man allerdings genug Argumente, um wachsam zu bleiben. Positiv betrachtet haben sich sowohl die Weltwirtschaft als auch die Finanzmärkte nach der Großen Rezession vor knapp zehn Jahren als überraschend widerstandsfähig erwiesen."