Was das Türkei-Referendum für die Kapitalmärkte bedeutet

Ein Kommentar von Amalia Ripfl, Senior Fonds Managerin, Erste Asset Management: Erste Asset Management | 12.04.2017 13:45 Uhr
Amalia Ripfl, Senior Fonds Managerin, Erste Asset Management / ©  Erste Asset Management
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Hinweis: Dieser Beitrag ist auch im Blog der Erste Asset Management verfügbar.

Ein „Ja“ für Erdogans geplantes Verfassungsreferendum in der Türkei wäre für Investoren ein zweischneidiges Schwert: Das geplante Präsidialsystem könnte für die Märkte und Wirtschaft kurzfristig Entlastung bedeuten. Langfristig birgt dieses Szenario allerdings auch hohe Risiken. Mit einem „Nein“ wäre Investoren allerdings auch nicht geholfen.

Wie der Putsch eine heikle Ausgangslage verschärfte

2016 war wohl eines der schwierigsten Jahre in der Geschichte der Türkei – das ist auch an der Wirtschaft nicht spurlos vorbeigegangen. Mit dem Putschversuch im Juli und dem infolge verhängten Ausnahmezustand spitzte sich der Konflikt mit der türkischen Arbeiterpartei PKK zu: Eine steigende Anzahl von Terrorattacken ließ die Tourismuseinnahmen um 30 Prozent einbrechen. Und gerade der Tourismus ist einer der wichtigsten Devisenbringer für die Türkei, immerhin war diese Branche in den vergangenen Jahren allein für mehr als ein Zehntel des türkischen Bruttoinlandproduktes (BIP) verantwortlich. Auch der verstärkte militärische Einsatz in Syrien und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Russland, die das Verhältnis zum Westen belasten – belasten die Wirtschaft: Sowohl das Konsumentenvertrauen als auch der Konsum sanken im dritten Quartal signifikant. Seit dem Putschversuch im Juli wurden die BIP-Erwartungen für 2016 schrittweise von 3,5 Prozent auf aktuell 2,5 Prozent zurückgeschraubt.

Erstaunlicherweise konnte der türkische Aktienmarkt seit Jahresbeginn eine erstaunliche Aufholjagd feiern – was sich an einer Year-to-Date-Performance des Borsa Istanbul 100 Index von 13,28 Prozent zeigt. Diese Entwicklung ist allerdings vor allem darauf zurückzuführen, dass einige Titel, insbesondere aus dem Finanzsektor, im historischen Durchschnitt günstig gehandelt und infolge von Schnäppchenjägern aufgekauft wurden. Zum anderen handelt es sich sehr wahrscheinlich um Marktbewegungen im Vorfeld des Referendums. Das Marktsentiment fällt zugunsten eines „Ja“ aus – und viele Marktteilnehmer scheinen auf stimulierende Reformen durch einen gestärkten Präsidenten Erdogan zu hoffen. Dieses Szenario könnte sich zwar bewahrheiten – doch die aktuellen Marktbewegungen verfälschen den Blick auf den aktuellen Zustand der türkischen Realwirtschaft. Ein aufschlussreicheres Bild gibt beispielsweise der Misery Index für die Türkei, der aus der Summe von Inflationsrate und Arbeitslosenquote ermittelt wird. Während der Misery Index für die Türkei im Juli noch bei einem Zählerstand von 16 Punkten lag, ist er mittlerweile auf über 23 Punkte angestiegen.

Was beim Referendum auf dem Spiel steht

Bei einem „Nein“ zu Erdogans Referendum dürfte nicht nur die Verfassung Bestand haben – sondern auch die gegenwärtig herrschende politische Unsicherheit anhalten. Ein entsprechend negatives Sentiment an den Finanzmärkten ist wahrscheinlich: Denn dass Erdogan seine politischen Ambitionen leicht aufgeben wird, davon ist nicht auszugehen. Ein Rücktritt, vergleichbar mit der Konsequenz von Matteo Renzi auf das gescheiterte Italien-Referendum, erscheint sogar gänzlich unwahrscheinlich. Die anhaltenden politischen Unruhen würden sich weiter negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken – und damit auch für Vermögenswerte an der türkischen Börse.

Für den Fall, dass die Türken mit „Ja“ stimmen, sind zumindest Finanzanalysten einer Meinung: Die geplante Verfassungsänderung dürfte innenpolitisch für Entspannung sorgen – aber auch für die diplomatischen Beziehungen mit der Europäischen Union. Die Gesetzesänderung hätte weitreichende Folge auf die Struktur des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte, der die höchste Autorität im Justizwesen darstellt. Denn die Verfassungsänderung würde dem Präsidenten die Macht geben, selbst über Mitglieder des Hohen Rates zu entscheiden – und ihm somit die judikative Macht sichern. Auch die Exekutivgewalt würde vom Amt des Premierministers auf den Präsidenten übertragen. Mit zentralisierter Macht könnte Erdogan den Ministerrat abschaffen, wäre somit allein für das staatliche Budget verantwortlich und könnte sich auf strukturelle Reformen konzentrieren. In diesem Fall dürfte sich das derzeit kränkelnde wirtschaftliche Wirtschaftswachstum wieder stabilisieren. Mit einem steigenden Konsumentenvertrauen könnte sich auch die türkische Lira festigen. Wir beschreiben genau das Szenario, auf das sich die Märkte aktuell zu fokussieren scheinen.

Kurzfristige Stimuli könnten langfristig ausgebremst werden

Langfristig würde die Änderung hin zum Präsidialsystem allerdings zwei Problembereiche schaffen, die auch Investoren im Blick haben sollten: Die im Präsidentenamt zentralisierte Macht könnte im Zusammenspiel mit einer größeren Kontrolle über das Justizwesen zu einer willkürlichen Politik führen. Dies würde das Geschäftsumfeld in der Türkei belasten und das Produktivitätswachstum einschränken, da Investitionen ausbleiben würden. Zum anderen hätte der Präsident mehr Macht über die Fiskal- und Geldpolitik des Landes. Er wäre vermutlich unmittelbar für die Ernennung des zukünftigen Zentralbank-Chef verantwortlich. Dies könnte zu einer gelockerten Geldpolitik führen – insbesondere, da Erdogan seinem Wunsch nach niedrigeren Zinssätzen bereits mehrfach öffentlich kundgetan hat. Nachdem die Reservekapazitäten bereits erschöpft sind, würde stärkere Nachfrage zu höherer Inflation führen. Allerdings ist die Inflation mit über acht Prozent bereits jetzt ein offensichtliches Problem.

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