Der globale Non-Profit-Berufsverband für Investment Manager, Finanzanalysten und professionelle Anleger begrüßt die Initiativen der vergangenen 15 Jahre im Hinblick auf Corporate Governance, stellt jedoch fest, dass das bisherige ‚Stückwerk‘ unterschiedlicher Vorgaben und Empfehlungen für europäische Unternehmen die Etablierung eines vereinten Kapitalmarkts innerhalb der Europäischen Union gefährdet. Aus diesem Grund sind Reformen empfehlenswert, die einen vernetzten Ansatz verfolgen und u.a. Initiativen wie die Europäische Kapitalmarktunion berücksichtigen. Bisherige Regulierungsinitiativen, wie etwa die reformierte Aktionärsrechterichtlinie (SRD II), lassen Lücken etwa im Hinblick auf den Schutz der Rechte von Minderheitsaktionären oder stärkere Rechenschaftspflichten für Vorstände offen.
In Hintergrundgesprächen mit Vertretern der führenden europäischen Institutionen (Europäische Kommission, Europaparlament, European Corporate Governance Institute, ESMA, OECD) und Workshops mit 30 Praxisvertretern institutioneller Investoren haben die Studienautoren Kernthemen identifiziert, die aus Investorensicht adressiert werden sollten. Dazu gehören:
- Schutz der Rechte von Minderheitsaktionären und Wahrung des „one share, one vote“-Prinzips,
- Rechenschaftspflicht und Unabhängigkeit von Vorstandsmitgliedern,
- Verbesserung der „Mechaniken“ für Mitbestimmung & Stimmrechtsvertretung über Ländergrenzen hinweg
- Mitbestimmungsrechte von Aktionären hinsichtlich „Related Party Transactions“
Einheitliche Corporate Governance ist entscheidend für Erfolg der Kapitalmarktunion
„Corporate Governance ist ein zentraler Bestandteil der Europäischen Kapitalmarktunion und entscheidend für ihren nachhaltigen Erfolg. Trotzdem ist das Thema weitgehend von der Agenda der Finanzdienstleister und Märkte verschwunden“ kommentiert Josina Kamerling, Head of Regulatory Outreach (EMEA) des CFA Institute. „Eine aktuelle, einheitliche Herangehensweise an Europas Corporate Governance-Richtlinien würde erhebliche Vorteile für Wachstum, Produktivität sowie die soziale und ökologische Verantwortung europäischer börsennotierter Unternehmen bergen. Dazu bedarf es einer harmonisierten Lösung, die den Bedürfnissen von Investoren gerecht wird und die verschiedenen Interessen von Anteilseignern, weiteren Anspruchsgruppen und Marktteilnehmern ausbalanciert.“
Unterschiedliche Perspektiven auf Corporate Governance Themen
In den Workshops des CFA Institute wurden verschiedene Themenfelder herausgearbeitet, die aus Investorensicht besondere Bedeutung und Dringlichkeit haben. Die untenstehende Tabelle (Auszüge) zeigt auf, inwieweit (1.) Investoren, (2.) sonstige Anspruchsgruppen (wie bspw. Mitarbeiter, Gesellschaft, Interessensgruppen und Verbände) und (3.) Verfechter eines „offenen Marktes“ (also eines vornehmlich libertären Marktverständnisses, demzufolge Marktgegebenheiten möglicherweise positiver auf eine gute Corporate Governance wirken können als normative Regulierung) ähnliche oder divergierende Sichtweisen auf diese Themenfelder haben.
Handlungsempfehlungen für Investoren, Unternehmen und Regulatoren
Auf Basis der Studienergebnisse gibt das CFA Institute die folgenden konkreten Handlungsempfehlungen, um eine nachhaltig ausgewogenes Rahmenwerk der europäischen Corporate Governance zu erzielen:
+ „Comply-or-explain“ Ansatz
Investoren spielen eine Schlüsselrolle, um dem System von „comply-or-explain“ im Feld der Corporate Governance zu langfristigem Erfolg zu verhelfen. In dieser Rolle müssen sie die Rechte einfordern, die es ihnen ermöglichen, ihrer treuhänderischen Pflicht nachzukommen. Ebenso sind sie aber verpflichtet, diese Rechte verantwortungsbewusst auszuüben. Unternehmen müssen die Erfordernis von Offenlegung und Rechenschaftspflichten anerkennen und die entsprechenden Beobachtungssysteme positiv annehmen.
+ Schutz von Minderheitsanktionären
Maßnahmen zur Wahrung der Rechte von Minderheitsaktionären sind dringend erforderlich. Empfehlenswert wäre die Berücksichtung der folgenden Aspekte:
o Stärkung der Rechenschaftspflicht von Vorständen gegenüber Minderheitsaktionären durch ein größeres Mitspracherecht in der Ernennung von Vorstandsmitgliedern, robustere Unabhängigkeitsstandards und größere Vielfalt in Vorständen
o Mitspracherecht für Minderheitsaktionäre bei Entscheidungen über Related Party Transactions
o Verbesserte Funktionalität der länderübergreifenden Stimmrechtsausübung, etwa hinsichtlich Zeitpunkt von Hauptversammlungen und Pflichtmitteilungen, Abgabe und zuverlässiger Zählung der Stimmen
+ Klarere Leitlinien bezüglich Aktionärsrechterichtlinie (SRD II)
Ein Guidance Statement der Europäischen Kommission sollte an Unternehmensvorstände sowie institutionelle Investoren verbreitet werden, das die Anforderungen im Rahmen der Aktionärsrechterichtlinie erläutert.