Goldman über Japans Negativzinspolitik: Europa, hörst du die Signale?

"Die Ankündigung der Bank of Japan (BoJ), die Kontrolle über die Zinskurve zu behaupten, erscheint wie ein antiquiertes geldpolitisches Instrument einer Volkswirtschaft, die seit Langem verzweifelt versucht, der Deflation zu entkommen. Beobachter der Notenbanken in Europa – und dieser Tage sollten alle Anleger die Notenbanken beobachten – könnten dies jedoch auch als Hinweis auf die zukünftige Entwicklung deuten", schreibt Andrew Wilson, (Goldman Sachs Asset Management) in einem aktuellen Gastkommentar. Markets | 05.10.2016 10:34 Uhr
Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams, Goldman Sachs Asset Management / ©  Goldman Sachs Asset Management
Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams, Goldman Sachs Asset Management / © Goldman Sachs Asset Management
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"Zunächst einmal die Einzelheiten: Um Konjunkturanreize zu schaffen, beließ die japanische Zentralbank den Einlagenzinssatz zuletzt bei -0,1 Prozent, statt ihn noch weiter in den negativen Bereich zu senken. Vielmehr konzentrierte sich die BoJ auf die Rendite japanischer Staatsanleihen, genauer gesagt 10-jähriger Papiere. Sie versprach, Staatsanleihen in der erforderlichen Höhe zu kaufen, um die Renditen auf dem derzeitigen Niveau von nahezu Null Prozent zu halten.

Damit will die Bank eine Abflachung der Zinskurve verhindern. Diese tritt ein, wenn Anleger, nur eine geringe oder gar keine Entschädigung für das Halten langfristiger Papiere bekommen. Diese Abflachung ist ein unerwünschter Nebeneffekt der Anleihekäufe der Zentralbanken, der in den letzten Jahren in den großen Volkswirtschaften zu beobachten war. Diese Käufe sollen, ebenso wie niedrige oder negative Zinsen, eigentlich die Kreditvergabe und Unternehmensaktivitäten ankurbeln, indem sie die Kreditkosten senken. Wenn das jedoch zu einer Verflachung der Zinskurve führt, wird genau das Gegenteil erreicht: Banken vergeben weniger Kredite, da sie nicht mehr angemessen entschädigt werden. Das wäre kein Problem, wenn Banken die Kosten negativer, kurzfristiger Zinsen an die Verbraucher weitergeben würden. Davor schrecken sie jedoch zurück, da sie befürchten, dass Sparer ihr Geld aus dem System abziehen könnten.

Japans Yield-Curve-Control als Blaupause für EZB?

Diese Geldpolitik ist das aufschlussreiche Eingeständnis, dass negative kurzfristige Zinsen nur begrenzt wirksam sind. Mit ihrer Weigerung, die Zinsen noch weiter zu senken, verabschiedet sich die BoJ implizit von ihrer Hoffnung, die Konjunktur auf diese Weise beleben zu können. Dies sollte bei der EZB in Frankfurt Besorgnis auslösen, denn der Einlagenzins in der Eurozone ist mit -0,4 Prozent deutlich niedriger als der japanische.

Natürlich verfolgt die EZB die Politik negativer Zinsen und quantitativer Lockerungsmaßnahmen noch nicht so lange wie Japan sein Abenomics-Programm. Das Problem der Staatsverschuldung und Altersstruktur sind zudem in Europa weniger stark ausgeprägt als in Japan. Manche Probleme ähneln sich allerdings. Wenn Europa sein Wachstum nicht nachhaltig steigern kann, muss die EZB in den nächsten Jahren unter Umständen jene Maßnahmen in Betracht ziehen, die die BoJ derzeit bereits ergreift.

Es ist nach wie vor möglich, dass negative Zinsen für den Impuls sorgen, den die EU zur Abwehr einer Rezession benötigt. Aber welches Instrument stünde der EZB noch zur Verfügung, wenn dies nicht geschieht? Mit ihrem QE-Programm zur Ankurbelung der Kreditvergabe an die Realwirtschaft, das auf immer riskantere Vermögenswerte wie zum Beispiel Unternehmensanleihen ausgedehnt wird, verfolgt die EZB schon heute Parallelmaßnahmen zu ihrer Negativzinspolitik. Bislang hat dies jedoch keine spürbare Auswirkung auf die reale oder erwartete Inflation.

EZB ist auf Fiskalstimuli angewiesen

In einer traditionellen Wirtschaft wäre der logische nächste Schritt, dass die politischen Entscheidungsträger die Grenzen der Geldpolitik erkennen. Sie müssten akzeptieren, dass haushaltspolitische Lockerungsmaßnahmen erforderlich sind, zum Beispiel durch höhere Infrastrukturausgaben. Deutschland als führende Volkswirtschaft der EU hat dazu sicherlich die nötigen Mittel, sieht aber kaum Anreize für derartige Maßnahmen im Inland. Hier ist die öffentliche Infrastruktur bereits mehr als solide. Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit nicht bereit, derartige Programme in anderen Ländern der EU zu finanzieren. Nicht zum ersten Mal erweist sich die einzigartige Struktur der EU mit ihrem einheitlichen Wirtschaftsraum als Hindernis für die Politik.

Ohne diese fiskalischen Impulse seitens der Politik bleiben der EZB kaum Alternativen zu ihrem derzeitigen Kurs – und zu der Hoffnung, dass die bereits in die Wege geleiteten Maßnahmen letztendlich doch die gewünschten Impulse liefern. Das Problem ist, dass solche Maßnahmen nicht unbegrenzt fortgeführt werden können.

Warum die Bank of England das Pfund abwerten könnte

Großbritannien ist in einer besseren Position als die Eurozone. Die langfristigen Auswirkungen des Brexit-Votums sind zwar alles andere als klar, doch jene Konjunkturinformationen, die nach dem Referendum veröffentlicht wurden, sind keineswegs apokalyptisch. Gleichzeitig konzentriert sich die neue Regierung viel weniger auf Sparmaßnahmen als die Vorgängerregierung.

Die Herausforderung für Großbritannien besteht darin, dass es eine kleine, offene Volkswirtschaft mit einem großen Leistungsbilanzdefizit ist und kontinuierlich Finanzmittel aus dem Ausland benötigt. Sollte die Wirtschaft ins Stocken geraten, stehen Großbritannien währungspolitische Möglichkeiten offen, die die einzelnen Länder der Eurozone nicht haben: Die Bank of England kann die Währung gezielt abwerten und so die Attraktivität für ausländische Anleger erhöhen.

Dies ist eine zentrale Möglichkeit der Währungspolitik, wenngleich sie nicht ganz zuverlässig ist: Wenn alle Länder abwerten – es also zu einem Währungskrieg kommt – könnte der Vorteil, den ein schwächeres Pfund bietet, nicht gegeben sein, wenn er benötigt wird. Und wenn das Defizit ein untragbares Ausmaß erreicht, könnte es schwierig sein, den wertvollen Status eines sicheren Hafens beizubehalten.

Außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen haben zu einigen außergewöhnlichen Ergebnissen geführt – nicht zuletzt in der Eurozone und in Japan. Doch ein Worst-Case-Szenario birgt auch außergewöhnliche Risiken. In den letzten Jahren haben sich einige der kreativsten Köpfe der Wirtschaftsgeschichte in den Zentralbanken mit noch nie da gewesenen politischen Schritten befasst. Sie haben Geschichte geschrieben, aber ihre größte Leistung wäre die Rückkehr zu einfachen, nachhaltigen Konsumausgaben und unternehmerischen Investitionen."

Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams, Goldman Sachs Asset Management


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