Vorsicht in China

Martin Hüfner, Chefökonom des österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at, sieht Chinas Aktien derzeit überbewertet und spekulativ überhitzt. Trotz des rasanten Wirtschaftswachstums sei für Anleger zunächst einmal Vorsicht geboten, so der Experte. Funds | 19.07.2007 06:00 Uhr
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Manchmal ist es zur Beurteilung aktueller Entwicklungen ganz hilfreich, auch einmal die ganz langfristige Brille aufzusetzen. Nur auf diese Weise kann man Dinge in die richtige Perspektive rücken. China ist ein solcher Fall. Es gibt kein Land der Erde, von dem derzeit eine so große Faszination ausgeht. Kein Reisender kehrt aus China nicht mit Bewunderung zurück. Es gibt kein Land, vor dessen Einfluss in der Welt die Menschen im Westen so viele Ängste haben. In der Bundesrepublik hat die Gründung eines Staatsfonds zur rentableren Anlage eines Teils der chinesischen Währungsreserven Befürchtungen eines „Ausverkaufs Deutschlands“ ausgelöst.

Ist China wirklich so gut und/oder so gefährlich?

Natürlich hat das Land immense Stärken. Es verfügt mit 1,3 Mrd. Einwohnern über die größte Bevölkerung der Welt. Sein reales Bruttoinlandsprodukt wächst seit Jahren schnell, zuletzt sogar mit zweistelligen Raten (2007: + 10,8%). Es erwirtschaftet einen Leistungsbilanzüberschuss von 340 Mrd. Dollar (= 10,4% des Bruttoinlandsprodukts). Es besitzt 1 300 Mrd. Dollar Währungsreserven. Es hat fleißige, ehrgeizige, kaufmännische begabte und niedrig entlohnte Arbeiter. Der Politologe Eberhard Sandschneider schrieb in einem neuen Buch (Globale Rivalen, Carl Hanser Verlag 2007): „Der Westen ist geradezu trunken von China“.

Nicht alles was glänzt ist Gold

Das Zitat von Sandschneider geht freilich noch weiter: „Wie im wirklichen Leben haben wir einen Schluck zu viel aus der Pulle des chinesischen Wirtschaftswachstums genommen und wanken jetzt besorgt nach Hause, weil wir ahnen, dass wir mit einem mächtigen Kater aufwachen werden.“ Tatsächlich ist auch in China nicht alles Gold was glänzt. China hatte in der Vergangenheit wie alle anderen Länder der Erde Glanzzeiten gehabt, aber auch Zeiten des Abstiegs und des Elends. Eine Glanzzeit war das Mittelalter, in dem das Land bereits vor dem Westen den Buchdruck erfunden hatte, über Schießpulver verfügte, Porzellan und Seide herstellen konnte und exakte Karten für die Seefahrt besaß. Als dann der Westen mit der Renaissance aufholte und schließlich im 19. und 20. Jahrhundert die Industrialisierung erlebte, fiel China relativ zurück und versuchte, sich von der Außenwelt abzuschotten.

Noch vor 50 Jahren, zu Zeiten Maos, wurde die große Bevölkerung nicht als Stärke, sondern als Belastung empfunden. Wie konnte man so viele Menschen vernünftig ernähren? Das war die Zeit, in der die „Ein-Kind-Politik“ eingeführt wurde, um das Wachstum der Bevölkerung zu bremsen. Erst nach Mao, ab Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, ging es mit China wieder aufwärts. Mit einer klugen und vorsichtigen Politik wurde die Kollektivierung der Landwirtschaft rückgängig gemacht, privates Unternehmertum zugelassen, das Tor für ausländische Unternehmen geöffnet, der Außenhandel liberalisiert und in 2007 sogar Privateigentum legalisiert. Alles, was wir heute als chinesisches Wirtschaftswunder erleben und als unabänderliche Stärke ansehen, existiert gerade erst einmal 25 Jahren. Chinas Stärke ist also nicht naturgegeben und aufgrund seiner Stärke selbstverständlich. Es ist im Gegenteil noch ein relativ junges Pflänzchen, muss von der Regierung noch mit viel Vorsicht behandelt werden und kann bei politischen Veränderungen auch wieder verschwinden.

Probleme mit Infrastruktur, Sozialsystem und Umwelt

China hat auch eine Vielzahl von Problemen in der aktuellen Wirtschaftsentwicklung. Es gibt große Ungleichheiten zwischen Arm und Reich. Es gibt praktisch keine soziale Sicherung für Alter und Krankheit. Die chinesische Gesellschaft hat demographische Probleme. Etwa ab dem Jahr 2030 wird die Bevölkerung absolut zurückgehen. Die Infrastruktur lässt – vor allem in der Mitte und im Westen des Landes – zu wünschen übrig. Die Umweltverschmutzung in den Städten ist so groß, dass die Bürgermeister dazu aufrufen, keine Autos mehr zu kaufen. Nach Angaben der Weltbank sterben jährlich eine drei Viertel Million Menschen an Umweltverschmutzung und/oder schlechtem und mangelhaftem Wasser. Viele Staatsbetriebe sind unproduktiv. Die chinesischen Banken haben – trotz des hohen Wachstums der Unternehmen - „faule Kredite“ im Wert von schätzungsweise 900 Mrd. Dollar in ihren Büchern.

Ein grundsätzliches Problem ist, dass die marktwirtschaftliche Ordnung im ökonomischen Bereich nicht mit der politischen Diktatur zusammenpasst. Die chinesische Führung muss befürchten, dass die wirtschaftlichen Freiheiten über kurz oder lang in den politischen Bereich überschwappen und es dann wieder zu Auseinandersetzungen wie am Tiananmen Platz in Peking in 1989 kommen könnte.

Man darf diese Ungleichgewichte nicht überbewerten. Sie sind eher „normale“ Begleiterscheinungen einer so starken Expansion. Es hat sie auch in Europa und Amerika in der Zeit des take off der Industrialisierung gegeben. Man muss sie aber im Kopf haben, um die Risiken von Investitionen in China richtig einzuschätzen. Sie sind auch wichtig, um die Vorsicht der chinesischen Regierung bei der Öffnung ihres Landes (auch bei ihrer Währungspolitik) zu verstehen. China ist nach wie vor in einem labilen Gleichgewicht.

China wird kein Niedriglohnkosten-Land bleiben

Wie sieht die Zukunft des Landes aus? China wird natürlich weiter wachsen, nach der Phase des take off in ein paar Jahren vielleicht mit einer etwas geringeren Rate. Es wird zu den westlichen Industrieländern aufschließen und sie in vielen Bereichen überholen.

China wird aber kein Niedriglohnkosten-Land bleiben. Wer Produktion dorthin allein aus Kostengründen verlagert, baut sein Haus auf Sand. China wird zunehmend in technologisch anspruchsvollere Sektoren und Produktionen vordringen. Dabei wird sein Hauptziel aber nicht die Erzielung eines höheren Marktanteils auf den westlichen Märkten sein, sondern die Belieferung des eigenen, noch sehr ergiebigen und aufnahmefähigen Marktes. 

Mit dem Wachstum wird es in den kommenden Jahren aber nicht mehr so gradlinig nach oben gehen. Es wird mehr Schwankungen geben. Auch ein größerer Einbruch mit entsprechenden Rückwirkungen auf die Weltwirtschaft und/oder politische Probleme sind nicht auszuschließen (allerdings nicht vor der Olympiade 2008 oder der Weltausstellung 2010).

Fazit: Chinesischen Aktien bei weitem überbewertet und spekulativ überhitzt

Sie wird natürlich von dem hohen gesamtwirtschaftlichen Wachstum, der zunehmenden Zahl der privaten Unternehmen und der hohen Ersparnis der Chinesen (Sparquote über 40%) profitieren. Voraussetzung ist freilich, dass sich in China erst einmal ein funktionsfähiger Kapitalmarkt entwickelt (wie es ihn in Indien schon eher gibt). Im Augenblick sind die chinesischen Aktien bei weitem überbewertet und spekulativ überhitzt. Daher ist für Anleger zunächst einmal Vorsicht geboten.


Über den Autor:
Dr. Martin Hüfner war viele Jahre Chefvolkswirt bei der HVB und Senior Economist bei der Deutschen Bank. Heute berät er Finanzdienstleister und schreibt für verschiedene Publikationen. Hüfner ist seit 2006 Chief Economist des führenden österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at.


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