Zertifikate: Natürliche Feinde der Fonds?

Strukturierte Produkte werden für Fonds eine immer ernstzunehmendere Konkurrenz. Welche Unterschiede gibt es für Anleger zu berücksichtigen? Ein von der Neuen Zürcher Zeitung geleiteter Round Table u.a. mit Stefan Bichsel (Präsident EFAMA) und Matthäus Den Otter (Geschäftsführer SFA) gab Antworten. Funds | 11.02.2007 06:52 Uhr
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Der Markt für Zertifikate hat mittlerweile ernstzunehmende Dimensionen erreicht, das erkennt auch die Fondsbranche. So beträgt das vom deutschen Derivate Forum per Ende November 2006 gemeldete Volumen 110 Mrd. Euro. Vergleichen mit dem deutschen Fondsvolumen (BVI, per Ende November 2006) von 1.232 Mrd. Euro ist das etwas weniger als ein Zehntel. In Österreich beträgt das Gesamtmarktvolumen in strukturierten Produkten laut dem Zertifikateforum Austria per Jahresende 2006 10 Mrd. Die österreichische Fondsbranche ist mit 167,3 Mrd. Euro (Quelle: VÖIG) in etwa 16mal so groß. Für die Schweiz existieren laut dem Schweizerischen Verband für strukturierte Produkte (SVSP) noch keine genauen Zahlen. „Aber bereits jeder 50. Schweizer hat mindestens ein strukturiertes Produkt, jeder dritte einen Fonds“, schildert Roger Studer, Präsident des SVSP bei einem kürzlich von der NZZ geleiteten Round Table am Rande der Fondsmesse in Zürich.

Strukturierte Produkte dominieren Finanzpresse

Auch in der Außenansicht spielen strukturierte Produkte eine immer wichtigere Rolle: „Diese dominieren momentan nicht nur den Inseratteil der Medien, sondern teilweise auch die redaktionellen Seiten der Finanzpresse. Meistens geht es um die Frage, ob nun Anlagefonds oder strukturierte Produkte das bessere Investment seien. Dabei geht oft vergessen, dass – von gewissen Ähnlichkeiten einmal abgesehen – Fonds etwas grundlegend Anderes sind und daher auch andere Leistungen beinhalten als strukturierte Produkte“, fasst Matthäus Den Otter, Geschäftsführer des Schweizerischen Anlagefondsverbandes (SFA) zusammen.

Lange Fondsgeschichte

Denn Anlagefonds können schon auf ein ehrwürdiges Alter zurückblicken: „Die ersten Mutual Funds wurden bereits Ende der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts aufgelegt. Die ersten schweizerischen Fonds, Investment Trusts genannt, wurden kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges aufgelegt – damals eine Neuigkeit in Kontinentaleuropa. Die Fondsbranche ist in diesem Sinne eine „reife“ Industrie, die sich ihren heutigen Erfolg über lange Jahre erarbeitet hat. Sie wurde infolge diverser Vorfälle im In- und Ausland seit Ende der Sechziger Jahre einer umfassenden Aufsicht unterstellt. Dabei stellen insbesondere die heute noch bestehenden Bewilligungsverfahren für jeden einzelnen Fonds das größte Wettbewerbshindernis der Fondsindustrie im Vergleich zu den strukturierten Produkten dar“, so Den Otter weiter.

Deutschland: Bereits mehr als 137.000 Zertifikate gelistet

Das betont auch Stefan Bichsel, Präsident der European Fund and Asset Management Association (EFAMA): „Strukturierte Produkte sind relativ wenig reguliert. Der Auflegungsprozess erfolgt dafür in wenigen Tage wenn nicht Stunden“. Das spiegelt auch das Faktum wieder, dass es etwa in Deutschland Ende 2006 insgesamt 137.515 derivative Produkte an inländischen Börsen gelistet waren, ein Plus von 96 Prozent gegenüber 2005. „Pro Tag steigt die Gesamtanzahl der Zertifikate in Deutschland um 700“, so Bichsel.

Strukturierte Produkte im jugendlichen Alter

Und das obwohl strukturierten Produkte eine noch junge Finanzinnovation sind. „Im Februar 1991 lancierte der Schweizerische Bankverein das erste strukturierte Produkt, einen GROI (Guaranteed Return on Investment). Die strukturierten Produkte traten anfangs kaum in Erscheinung, erleben aber derzeit einen eigentlichen Höhenflug“, beschreibt Den Otter.

Ein paar Gemeinsamkeiten …

Weder Fonds noch strukturierte Produkte sind aber eigene Asset-Klassen. „Sie stellen vielmehr eine Alternative zu Direktanlagen in Basiswerten wie Aktien oder Obligationen dar“, unterscheidet Den Otter. Diesen Punkt betont auch Manuel Ammann, Professor für Finanzen an der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen: „Derivate sind spezifische Anlegen und sollten nur der Ergänzung in einem Portfolio dienen“.

Es gibt allerdings bereits erste Anzeichen einer Symbiose: So gibt es schon Fonds, die in strukturierte Produkte anlegen, und strukturierte Produkte, die einen „Fondsbasket“ als Basiswert verwenden.

… und zahlreiche Unterschiede

Als kollektive Kapitalanlagen sind Fonds nämlich Konstrukte, welche die Vermögensverwaltung rationalisieren, indem sie viele kleine Einzahlungen zu einem großen Vermögen bündeln und dadurch Kostenvorteile („Skalenerträge“) erzielen. „Mit diesem Geld tätigen sie auf der Grundlage der Risikoverteilung Anlagen in Basiswerte, um im Rahmen der gesetzlichen und reglementarischen Anlagerichtlinien die beste Performance für die Anlegerinnen und Anleger zu erreichen. Dabei haben diese das Recht, jederzeit oder in den im Fondsprospekt festgelegten Abständen, ihre Anteile zum Nettoinventarwert zu kündigen. Die Dauer der „klassischen“ Anlagefonds ist unbefristet, der Wert des Anteils wird in regelmäßigen Abständen veröffentlicht. Zudem gewährt das Gesetz dem einzelnen Anleger klar definierte Schutz- und Informationsrechte“, fasst Den Otter zusammen.

Strukturierte Produkte sind dagegen individuelle Forderungen gegenüber einen Emittenten und deshalb nicht diversifiziert. „Sie sind von diesem öffentlich ausgegebene Anlageinstrumente, deren Rückzahlungswert von der Entwicklung eines oder mehrerer Basiswerte abgeleitet ist. Strukturierte Produkte setzen sich also aus der Kombination einer klassischen Anlage mit einem derivativen Finanzinstrument zusammen. Sie haben meistens eine beschränkte Laufzeit. Die vorzeitige Ausstiegsmöglichkeit soll durch einen oder mehrere Market Maker gewährleistet werden“.

Transparenz als Hauptnachteil der Zertifikate

Der große Knackpunkt bei den strukturierten Produkten ist aber genau die fehlende Transparenz, etwa im Kostenbereich: „Nur bei Fonds gibt es Angaben wie eine jährliche Total Expense Ratio, wodurch ein Preis/Leistungsvergleich überhaupt erst möglich ist“, so Bichsel. „Bei Fonds weiß der Anleger von Beginn an eben was er kostet, dafür nicht was am Ende rauskommt. Bei strukturierten Produkten ist das Ergebnis, also der Payoff, von vorne herein fixiert, dafür weiß der Anleger nicht was das kostet“, versucht es Studer, der auch Head of Financial Markets bei der Bank Vontobel ist, auf den Punkt zu bringen.

Faustregel: Je komplexer, desto teurer

Anleger sollten in diesem Umfeld vorsichtig sein: „Die Bewertung der Kostenstruktur von Zertifikaten ist sehr kompliziert. Eine Grundregel sollte man aber nie vergessen: Je komplexer die Struktur des Papiers, desto teurer“, gibt Ammann zu bedenken. Denn obwohl der verstärkte Wettbewerb der einzelnen Anbieter zuletzt auch bei strukturierten Produkten zu niedrigeren Kosten geführt hat, sei dies für den Anleger eben von außen nicht zu erkennen. Laut einer im österreichischen Magazin „Trend Invest“ beschriebenen Studie der deutschen Finanzmathematiker Sascha Wilkens und Pavel Stoimenov seien die Verkaufspreise von Hebelzertifikaten an der EUWAX Börse zwischen 4,3 und 7,1 Prozent überhöht. Zudem werden den Kunden oftmals bei Emissionen Ausgabeaufschläge zwischen zwei und drei Prozent verrechnet.

Zertifikate nur für die taktische Asset Allokation

Weiters wichtig: Während die Verantwortung betreffend der Prognosefähigkeit (z.B. wie sich gewisse Assets zukünftig entwickeln) bei Fonds bei dem jeweiligen Fondsmanager liegt, wird diese bei strukturierten Produkten an den Endkunden bzw. dessen Berater delegiert. Oder anders ausgedrückt: „Anlagefonds sind eine indirekte Kapitalanlage, eine reale Vermögensverwaltung oder in modernem Fachenglisch: eine strategische Asset Allocation in Produkteform. Hingegen sind strukturierte Produkte eine synthetische Portfolio-Optimierung, „taktische Asset Allocation“ und eine innovative Schöpfung des Investment Banking. Sie basieren auf vorherigem Financial Engineering und nicht auf laufendem Management, so Den Otter. 

Gesamtkunstwerk oder Heimwerker-Markt?

Am besten könne der Unterschied mit folgendem anschaulichen Beispiel verdeutlicht werden: „Der Fondsmanager ist ein Architekt, der – im Rahmen seiner Anlagerestriktionen – versucht, ein Gesamtkunstwerk zu errichten. Demgegenüber sind strukturierte Produkte am ehesten mit von einem Baumarkt zur Verfügung gestellten Werkzeugen für den Heimwerker vergleichbar, mit dem dieser sein Eigenheim bauen oder verschönern kann“, so Den Otter.

Fazit

Strukturierte Produkte setzen in der Regel also ein fundiertes Fachwissen voraus, weil deren Konstruktionen oftmals kompliziert und deren Verhaltensweisen in verschiedenen Marktphasen schwierig vorauszusehen sind. Demgegenüber stellen Anlagefonds meistens die einfacheren Produkte dar und bieten den Anlegerinnen und Anleger einen besseren Schutz. Die wichtigsten Unterschiede sind in o.a. Tabelle (Quelle: SFA) für Sie aufgeführt. So oder so: Gute Beratung und genaue Analyse sind für den Anlageentscheid unabdingbar und die Voraussetzung dafür, dass das jeweils passende Produkt ausgewählt werden kann. 

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