Jüngst haben einzelne schwächere Konjunkturindikatoren die Investoren verunsichert: Die vorauslaufenden Indikatoren («leading indicators») in den USA sind leicht rückläufig, die Aktivitäten in der US-Bauwirtschaft haben abgenommen
(nicht jedoch die Häuserpreise), und in Deutschland weist der ZEW-Index (eine Befragung unter Analysten) nach unten. In Japan erschienen die Konjunkturdaten zum 2. Quartal, welche auch uns zu einer Revision der Prognose für das Wirtschaftswachstum auf allerdings noch immer stolze 3% veranlasst haben. Aufgrund dieses kleinen Auszugs aus der beinahe täglichen Datenflut sollte jedoch nicht der Blick für das Ganze verloren gehen.
Wie sieht dieser unserer Meinung nach denn aus?
Wir erwarten, dass das «soft landing» in den USA gelingt. Dies würde bedeuten, dass sich die teilweise überhitzte Konjunktur beruhigt, ohne dass deswegen die USA in eine Rezession abgleiten. Insbesondere der Häusermarkt scheint sich endlich etwas zu beruhigen. Dies war ein Anliegen, das dem ehemaligen US-Notenbank-Chef Greenspan sehr am Herzen lag. Die Zinserhöhungen scheinen nun endlich die beabsichtigte Wirkung zu zeigen.
Dass mit einer Beruhigung der US-Konjunktur auch gewisse dämpfende Effekte über den Export auf Europa überschwappen, ist nicht auszuschliessen. Allerdings macht der Handel innerhalb Europas mit knapp 70% den Löwenanteil des gesamten
EU-Handels aus. Im Weiteren wird der kurzfristige Einfluss des Wirtschaftswachstums auf die Börse in aller Regel etwas überschätzt, vor allem dann, wenn sich die Wirtschaft nicht in einer extremen Phase wie Rezession oder Hochkonjunktur befindet. Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Börsenentwicklung besteht vor allem in der langen Frist. In der kürzeren Frist sind für die Börse die Zinsentwicklung, die Entwicklung der tatsächlichen und erwarteten Unternehmensgewinne oder die allgemeine Liquiditätsversorgung wichtiger.
Und hier stehen die Vorzeichen noch auf Grün. Die Zinsen und die Gewinne haben sich in den vergangenen Monaten so entwickelt, dass die erwarteten Gewinne für 2006 weiter nach oben revidiert werden mussten und die Zinsen weiter nachgaben. Beides führt zu einer günstigeren Bewertung der Aktien als noch vor einiger Zeit. Positiv am «soft landing»-Szenario ist schliesslich, dass damit die Inflation weitestgehend unter Kontrolle sein dürfte und die Renditen an den Obligationenmärkten nicht weiter steigen dürften.
Wann würden wir unsere Anlagepolitik ändern und Aktien untergewichten?
Wenn eine starke Performance der Dividendenpapiere die Märkte verteuert, wenn die Zinserwartungen aufgrund steigender Inflationsraten deutlich ansteigen würden, wenn die globale Liquiditätsversorgung versiegen würde oder
wenn die Investorenstimmung in ungerechtfertigte Euphorie umschlagen würde. Da diese Faktoren derzeit noch nicht in Kraft sind, behalten wir unsere derzeitige Anlagestrategie bei.
Dr. Thomas Steinemann ist Chefstratege der Vontobel-Gruppe
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