Reale Konvergenz ohne Europäismus

Mit dem EU Beitritt wurde die nominale, institutionelle und legislative Konvergenz erreicht - jedoch noch nicht die reale Konvergenz. Die aktuelle EU-Legislative sei nicht die ordnungspolitische Basis für die freie Marktwirtschaft, betont Václav Klaus, Präsident der Tschechischen Republik in Zürich. Funds | 06.02.2006 10:35 Uhr
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Prozess der Konvergenz in Mittel- und Osteuropa

Das Thema „Konvergenz“ war in den letzten Jahren eines der wichtigsten auf den europäischen Finanzmärkten, elementarer Bestandteil jeder Anlagestrategie und Thema eines Vortrags von Präsident Václav Klaus vor Delegierten der Swiss Finance Conference ´06 am 1. Februar in Zürich. Im Gleichklang mit der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Indikatoren wurden zahlreiche Äusserungen und Kommentare zur historischen Bedeutung der Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedsländer im Jahr 2004 veröffentlicht.

Sehr oft waren diese Äusserungen nach Ansicht von Präsident Václav Klaus in Form und Inhalt „ungenügend, unanalytisch, oberflächlich und im Prinzip leer und uninteressant.“ Wichtiger sei seiner Ansicht nach die elementare Strukturierung der kurzfristigen und langfristigen Kosten und Erträge (bzw. der Effekte) der EU-Erweiterung. Dabei sollten nicht nur die sichtbaren, sondern auch die unsichtbare und indirekten Kosten berücksichtigt werden.

Politische Anerkennung durch EU-Beitritt

Václav Klaus: „Ein Effekt ist klar. Im Moment des Beitritts – und es war ein Beitritt mit vielen Ausnahmen und Einschränkungen (die für die alten EU-Mitglieder Vorteile darstellen) – haben die neuen Mitgliedsländer wichtige politische Anerkennung erhalten. Das war die formale Bestätigung des von ihnen erreichten Niveaus der politischen, wirtschaftlichen und zivilisatorischen Reife (oder Maturität), und die Bestätigung ihres heutigen Entwicklungsstandes und ihrer Stabilität. Durch die EU-Mitgliedschaft werden sie wiederum - nach einem halben Jahrhundert Unnormalität, nach einem halben Jahrhundert des Lebens im Komunismus - zu den normalen europäischen Ländern gezählt. Solche Anerkennung hat ihnen die Mitgliedschaft in anderen Organisationen – wie im Europarat, im IWF oder OECD – nicht gegeben. Für diese Länder und persönlich für die Bürger dieser Länder war es sehr wichtig.“

Dieser Effekt war jedoch nach Ansicht von Präsident Klaus der einzige Hauptgewinn aus der EU-Mitgliedschaft. „Sehr oft wird in diesem Zusammenhang vom Effekt der Öffnung, vom Effekt der Liberalisierung der Bewegungsfreiheit von Personen, Waren, Kapital und Ideen gesprochen. Das ist korrekt, das sind die positiven Effekte. Aber diese Effekte haben wir vor zwei Jahren nicht erlebt. Das Maß der Öffnung dieser Länder gegenüber den EU-Ländern - und auch umgekehrt - änderte sich am 1. Mai 2004 nicht. Die Effekte der gegenseitigen intensiven Beziehungen wuchsen schrittweise schon seit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und waren schon lange vor dem 1. Mai 2004 „verkonsumiert“. Sie sind nicht mit der formalen EU-Mitgliedschaft gekommen. Der Residualeffekt der Mitgliedschaft war in dieser Hinsicht relativ klein und schwierig zu quantifizieren“, betont Václav Klaus.

[Erklärung zur Graphik: Y-Achse: Effekte der EU-Integration; X-Achse: Zeit vom Fall der Berliner Mauer 1989 bis heute. Die untere Grenze der rot schraffierten Fläche markiert die Entwicklung der Effekte wie von vielen Beobachtern erwartet: geringer Anstieg zu Beginn und sehr starker Anstieg mit dem EU-Beitritt 2004. Nach Ansicht von Präsident Klaus verlief die Linie jedoch am oberen Rand der schraffierten Fläche: starker Anstieg in den ersten Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer und der Öffnung des Eisernen Vorhangs, gefolgt von einer kontinuierlichen Abflachung bis heute. Die weitere Entwicklung sei neutral bis ungewiss. Die schraffierte Fläche repräsentiert die bereits "verkonsumierten  Effekte".]

Für höher entwickelte Länder – wie beispielsweise Tschechien – waren die direkten finanziellen Effekte relativ klein. Die Möglichkeit zur Beeinflussung der Entscheidungsprozesse innerhalb der EU sieht Klaus auch nicht als bedeutenden Effekt. Diese sei in der heutigen institutionellen Struktur der EU nur formal.

EU-Legislative ist nicht die Basis für die freie Marktwirtschaft

Sehr kritisch äußerst sich Präsident Klaus zu den aktuellen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen der EU. Václav Klaus: „Das Wichtigere, und nicht positive, ist etwas Anderes. Die neuen Mitgliedsländer nahmen – bereits in der Zeit vor ihrem Beitritt – die EU-Legislative, acquis communitaire, an, und damit das europäische Modell der sozialen Marktwirtschaft, den wenig produktiven europäischen Paternalismus und Korporativismus, die mit der niedrigen und sinkenden Konkurrenzfähigkeit der Firmen, mit der Rigidität der Wirtschaft, mit hoher Arbeitslosigkeit und mit dem langsamen Wirtschaftswachstum fest verbunden sind. Ich bin nicht der einzige, der überzeugt ist, dass diese EU-Legislative nicht die ordnungspolitische Rahmenbasis für die freie Marktwirtschaft ist. Meine feste Überzeugung ist, dass die neuen Mitgliedsländer dadurch nicht zu der wirklichen wirtschaftlichen Konvergenz geführt werden. Im Gegenteil. Es droht, dass diese, nur nominale, das heisst institutionale und legislative Konvergenz eine Bremse der realen Konvergenz, der Konvergenz von Wirtschaftsleistung und Lebensniveau, sein wird. Das ist für die mittel- und osteuropäischen Länder keine gute Perspektive. Ich bin nicht sicher, ob sie sich dessen bewusst sind.“

Damit verbunden sieht Präsident Klaus auch die Gefahr eines demokratiepolitischen Defizits: „Das zweite Problem, das wahrscheinlich noch wichtiger ist, ist mehr politisch als ökonomisch. Der heutige europäische Kommunitarismus und/oder Supranationalismus sind für mich – und für viele andere Europäer – mit dem gefährlichen demokratischen Defizit und mit der Postdemokratie verbunden. Ich gehöre zu denen, die diese Gefahr als seriöse Bedrohung für unsere Zukunft betrachten. Die bittere Erfahrung mit unserer kommunistischen Vergangenheit macht uns – in dieser Hinsicht – empfindlich, oder vielleicht sogar überempfindlich. Ich gehöre auch zu denen, die ernsthaft bezweifeln, dass es möglich ist, die Freiheit und Demokratie ohne die Einhaltung der Institution des Staates und ohne direkte Bindung der Bürger an diejenigen zu bewahren, die über sie und für sie Tag für Tag Tausende wichtigen Entscheidungen machen. Wenn ich das sage, ist es meinerseits keine apriorische Verteidigung des Staates (oder einiger konkretenr Staaten) gegen maximale Freiheit der Bürger, aber eine Verteidigung der Bürger gegen ungewählte Politiker, Bürokraten sowie laute und (für sich selbst) engagierte NGO’s, die - zusammen, Hand in Hand – die internationale und supranationale Organisationen regieren.“

Die Frage nach der optimalen Aufteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen Gemeinden, Ländern, Staaten und supranationalen Institutionenen in Europa ist und bleibt ein Streitthema. Für Präsident Klaus ist der Staat die passende Struktur für die Demokratie. Staatsübergreifende Strukturen seien zu groß dafür. In diesem Zusammenhang sei die Vereinfachung der europäischen Entscheidungsprozesse sehr kritisch zu beurteilen.

Höhere Transaktionskosten durch EU-Erweiterung

Durch die Erhöhung der Mitgliederanzahl von 15 auf 25 wurde die EU als Institution vergrößert. Damit kommt es zur Erhöhung der Transaktionskosten um eine funktionsfähige Organisation zu gewährleisten. Václav Klaus: „Diese Kosten müssen wir entweder akzeptieren, d. h. bezahlen oder tragen bzw. die Kosten eliminieren.“ Aktuelle Entwicklungen der EU deuten eher auf die Eliminierung dieser Transaktionskosten hin. Präsident Klaus: „Dies bedeutet eine weitere Stärkung des demokratischen Defizits, eine weitere Senkung des Ausmasses von demokratischen Prozeduren zu Gunsten der hierarchischen Prozeduren, eine weitere Erhöhung der Anzahl von Bereichen, in denen innerhalb der EU eine Mehrheitsabstimmung erfolgt. Zweifellos gehört dazu auch der Anstieg der Anonymität von Entscheidungen, wachsende Entfernung des Bürgers vom EU-Zentrum, weitere Entpersonifizierung der EU, usw.“

Václav Klaus: „Das dürfen die Europäer nicht akzeptieren. Ich bin überzeugt, dass die politische Seite des heutigen europäischen Problems so wichtig ist, dass sie der Grundbaustein und Hauptkriterium beim Weiteraufbau der europäischen Integration sein muss. Man kann Europa nicht mehr und mehr, weiter und weiter, tiefer und tiefer unifizieren (und zentralisieren) und nur dann, nachträglich, das Grundsätzliche – die Demokratie – suchen. Demokratie geht mit Kommunitarismus und Supranationalismus nicht zusammen. Das sollte der Ausgangspunkt unseres Denkens sein.“

Neues Modell für die freie Marktwirtschaft

Europa bräuchte nach Ansicht von Präsident Klaus ein anderes Modell der Gesellschaftsordnung, ein anderes sozio-ökonomisches System. Václav Klaus: „Wir brauchen Europa der wirtschaftlichen Freiheit, Europa der kleinen und sich nicht ausdehnenden Staaten, Europa ohne staatlichen Paternalismus, Europa ohne pseudomoralisierende politische Korrektheit, Europa ohne intellektuellen Snobismus und Elitismus, Europa ohne supranationale, gesamtkontinentale Ambitionen. Zusammengefasst, wir brauchen Europa ohne Ideologie des Europäismus.“
Die Zentralisierungsära der letzten Jahre habe nach Ansicht von Präsident Klaus dazu geführt, dass das Gleichgewicht in Europa verloren gegangen war. Zuletzt wurden wieder neue Barrieren konstruiert und künstliche europäische Standards geschaffen.

Václav Klaus: „Die Hauptursache aller diesen Probleme sehe ich in der Ideologie des Europäismus, in dem, heutzutage in Europa herrschenden sozio-ökonomischen System, nicht in einzelnen Fehlern der Politik oder der Politikern. Diese Ideologie wurde leider nicht in Frage gestellt. Man sieht heute in Europa keine authentische Reformneigung.“

Keine Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit

Die oben genannten Punkte sind nach Ansicht von Präsident Václav Klaus mit der Frage der Konvergenz sehr eng verbunden. Die reale Konvergenz verläuft langsamer und wird auch in Zukunft nicht zu einer vollständigen Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen. Dies wird anhand aktueller Statistiken aus Tschechien deutlich. Das BIP pro Kopf erreicht in Tschechien mit 73 Prozent des EU-Durchschnitts den höchsten Wert der zehn neuen Mitgliedsländer, während Mittelböhmen bereits bei 126 Prozent des EU-Durchschnitts liegt.

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