Europa ist müde geworden

"Die Eurokrise eskaliert, von der Politik ist derzeit aber weit und breit nichts zu sehen", meint im folgenden Gastkommentar Dr. Martin Hüfner, volkswirtschaftlicher Berater der direktanlage.at: Funds | 06.06.2012 10:07 Uhr
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  • Nach zweieinhalb Jahren Krisenmanagement in der Europäischen Währungsunion sind viele Verantwortliche müde und erschöpft.
  • Selbst bisherige Hoffnungsträger wie der italienische Ministerpräsident Monti verlieren den Elan und stoßen auf zunehmenden Widerstand.
  • Diese Stimmung schlägt sich an den Finanzmärkten nieder. Von der fundamentalen Seite ist so schnell keine Hilfe zu erwarten.
  Die Eurokrise eskaliert, von der Politik ist derzeit aber weit und breit nichts zu sehen.

Es gibt keine zusätzlichen Treffen des Europäischen Rats. Es gibt keine neuen Ideen. Fast könnte man von Lethargie sprechen. Daran ändert auch nichts der „Geheimplan“ aus Brüssel, der am Wochenende bekannt wurde. Er ist so groß und umfassend (bis hin zur Gründung einer politischen Union), dass eine Realisierung in absehbarer Zeit schwer vorstellbar ist.

Wie kommt es zu diesem Stillstand in der europäischen Politik? Ich war in der letzten Woche in Brüssel beim Brussels Economic Forum. Mein Eindruck: Die Politiker sind ausgepowert, sie sind müde geworden. Zweieinhalb Jahre haben sie sich gegen die Krise gestemmt. Die Situation ist in dieser Zeit aber nicht besser, sondern schlechter geworden. Das demotiviert. So etwas ist menschlich verständlich. Für das Projekt Euro ist das jedoch höchst gefährlich. Dies umso mehr als sich jetzt auch die Konjunktur verschlechtert. Hier ein paar Indizien.

Italien: Ministerpräsident Monti war in den vergangenen Jahren bekannt für seine Begeisterung für Europa und seine langfristigen Visionen. Kaum etwas ist davon übrig geblieben. Bei seinem Auftritt in Brüssel wirkte er abgekämpft. Er scheint keine große Lust mehr auf das Amt zu haben. In Rom igelt er sich mit wenigen Vertrauten ein. Er lässt keinen Zweifel, dass seine Zeit als Regierungschef mit der nächsten Wahl zu Ende ist. Der Widerstand im Land gegen seine Politik nimmt zu. Dazu kommt eine Häufung unglücklicher Umstände, für die er nichts kann, die sein Leben aber noch schwerer machen: Die Erdbeben, der Wettskandal, die Ereignisse im Vatikan etc.

Spanien: Das Land war immer ein Musterschüler in Sachen Finanzpolitik. Noch jetzt ist seine Gesamtverschuldung mit 68% niedriger als die Deutschlands. Inzwischen aber macht Madrid so ziemlich alles falsch was geht. Die Rettung des Bankensystems wird zu einer unendlichen Geschichte, bei der zuletzt sogar dem EZB-Präsidenten Draghi der Kragen platzte. Die Regionen melden immer wieder höhere öffentliche Defizite. Die Zinsen liegen über 6%. Jedem ist klar, dass das Land unter den Rettungsschirm des Euro genommen werden muss, um wieder Schub zu bekommen. Das einzige Argument, das dagegen vorgebracht wird, ist, dass das nicht mit dem Nationalstolz zu vereinbaren ist. Ist das Europa?

Frankreich: Schwung könnte von dem neuen Präsidenten Hollande kommen. Aber man hört nicht viel von ihm. Auch die wenigen, die ihn schon persönlich gesprochen haben, halten sich mit Urteilen zurück. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass es vielleicht nur daran liegt, dass er sich erst noch um die bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung kümmern muss. Positiv ist in jedem Fall, dass er die einseitig auf Stabilität ausgerichteten Diskussionen um das Wachstumsthema erweitert hat. Aber bisher ist das nicht viel mehr als Wortgeklingel. Wie es im Augenblick aussieht, geht es zum einen Strukturreformen in einzelnen Ländern. Sie sind wichtig. Damit könnte man nach Schätzungen der Experten über die nächsten fünf Jahre ein zusätzliches Wachstum von bis zu 4% erreichen. Aber kann Europa so lange warten? Zum zweiten geht es um mehr Zeit für einzelne Schuldner, um die finanzpolitischen Konsolidierungsziele zu erreichen. Spanien muss sein Defizit jetzt erst ein Jahr später (2014) unter die 3% bringen. Das ist richtig, löst die Krise aber nicht.

Deutschland: Die Diskussion der Partner mit Vertretern der Bundesregierung gleicht ein wenig einem alten Ehepaar. Jeder kennt die Argumente des anderen. Keiner will ihn verletzen. Aber keiner ist bereit, von seiner Position abzugehen. Es gibt keine neuen Argumente. Der neue deutsche Finanzstaatssekretär Thomas Steffen weigerte sich auf dem Forum, auf ökonomische Argumente einzugehen, weil er Jurist sei. Das einzig neue an der Diskussion ist, dass man jetzt auch über eine Bankenunion mit einer gemeinsamen europäischen Aufsicht, einer gemeinsamen Einlagensicherung und einem gemeinsamen Hilfsfonds für Banken in Schwierigkeiten redet (einer Idee der EZB). Das ist ein Fortschritt. Man hat aber nicht den Eindruck, als habe die Politik besondere Eile mit der Verwirklichung.

Internationaler Währungsfonds: Präsidentin Lagarde macht durch markige Worte Schlagzeilen („Kinder in Afrika brauchen mehr Hilfe als die Menschen in Athen“). Sie hat damit zwar Recht, bringt die Diskussion aber nicht weiter. Ein Lichtblick ist, dass auch der Fonds jetzt von dem bisher geforderten ganz harten Sparkurs abgehen will und bereit ist, den Schuldnern mehr Zeit zur Anpassung zu geben.

Die Sicht von außen: Bemerkenswert auf dem Brussels Economic Forum waren Äußerungen von Vertretern aus Asien. Sie klagten nicht über die negativen Effekte der Eurokrise auf die Weltwirtschaft. Sie traten im Gegenteil mit viel Selbstbewusstsein auf und sagten mit verblüffender Offenheit: Ja, wir kennen Eure Probleme. Auch wir haben das durchgemacht (zum Beispiel Korea). Da muss man eine Zeitlang Opfer bringen und den Gürtel enger schnallen. Das ist schmerzlich. Danach geht es aber, wenn man es richtig macht, wieder nach oben. Klagen macht die Sache nicht besser.

Für den Anleger: Das sind keine guten Aussichten für die Finanzmärkte. Sie können nicht auf Hilfe von der Politik hoffen. Allenfalls von der Europäischen Zentralbank könnten neue Initiativen ausgehen. Aber solche Unterstützungen sind immer zweischneidig, weil sie meist mit Gefahren für die Stabilität verbunden sind. Zudem sind sich die Vertreter der EZB in vielem auch nicht grün. Aktienkurse können unter diesen Umständen nur aus sich selbst einen Boden finden. Danach sieht es bisher aber nicht aus. Investoren gehen weiter in den Bondsmarkt. Aber bei Renditen von 1,1 bis 1,2%, wie sie inzwischen für 10jährige Bundesanleihen geboten werden, wird das Pflaster selbst für mich als einem Befürworter von Festverzinslichen Wertpapieren zu heiß.

Dr. Martin HüfnerVolkswirtschaftlicher Beraterdirektanlage.at

 


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