- Die Inflationsraten sind in den letzten Wochen in vielen Ländern stärker als erwartet gestiegen.
- Die ultralockere Geldpolitik wirkt sich über den Hintereingang der Rohstoffpreise auf die allgemeine Geldentwertung aus.
- Wenn sich das so fortsetzt, werden die Zentralbanken gezwungen sein, bei der Normalisierung der Geldpolitik einen Zahn zuzulegen.
Um die Antwort vorweg zu nehmen: Wirkliche Sorgen muss man sich noch nicht machen. Dafür ist es zu früh und dafür halten sich die Preissteigerungen noch zu sehr in Grenzen. Man sollte die Entwicklung aber auch nicht so ganz einfach ignorieren, wie das derzeit vielfach geschieht. Es sind erste Warnzeichen.
Der jüngste Anstieg der Preise ist auf zwei Gründe zurückzuführen. Der eine ist die Normalisierung nach den außergewöhnlichen Preisbewegungen der vergangenen Jahre. Bis Mitte 2008 war die Inflation wegen der Ölpreisexplosion stark angestiegen. Bis Anfang 2009 ging sie dann in der Finanzkrise wieder zurück. Jetzt laufen die Basiseffekte aus. Wenn sich die Rohstoffpreisentwicklung wieder auf Normalmodus einpendelt, dann müsste sich die Inflation bei 1 bis 1 ½ % stabilisieren. Die so genannte Kernrate der Inflation, die sich ergibt wenn man Öl und saisonabhängige Nahrungsmittel aus dem Index heraus rechnet, liegt in Europa derzeit bei 0,8%. Das ist nicht weiter beunruhigend.
Anders der zweite Grund. Die Öl- und Rohstoffpreise normalisieren sich nämlich nicht nur.
Sie gehen im Gegenteil wieder kräftig nach oben. Öl kostet am Weltmarkt heute 65% mehr als vor einem Jahr, Aluminium und Kupfer ebenfalls rund 60%, Nickel sogar mehr als 100%. Im März kam noch einmal ein kräftiger Schub dazu. Auch die Stahlpreise werden durch das vor kurzem veränderte System der Preisfestsetzung nach oben gehen mit negativen Auswirkungen zum Beispiel auf die Autoindustrie.
Hinter dieser Entwicklung stehen nicht nur die bessere Weltkonjunktur und die Nachfrage der Schwellenländer. Es ist auch eine steigende Nachfrage nach Rohstoffen auf den Finanzmärkten. Das ist das Problem. Denn hier zeigen sich die Folgen der überreichlichen Liquiditätsversorgung durch die Zentralbanken. Lange Zeit haben wir geglaubt, dass die hohe Liquidität im Finanzsystem keine Auswirkungen auf die Verbraucherpreise hat. Denn die Geldmenge kommt nicht bei Wirtschaft und Privaten an und kann damit nicht zu effektiver Nachfrage werden. Im Übrigen, so glaubten wir, sei die Konjunktur zu schwach, um Preissteigerungen auf den Märkten zu ermöglichen. Jetzt müssen wir lernen, dass das so nicht mehr ganz richtig ist. Die hohe Liquidität kommt sehr wohl bei den Verbrauchern an. Freilich nicht über den Vordereingang der Nachfrage nach Gütern und Diensten, sondern über den Hintereingang der Rohstoffpreise.
Glücklicherweise sind die Effekte bisher noch nicht so groß. Die Inflationserwartungen halten sich in Grenzen. Die Lohnsteigerungen sind gering. Die Kapazitätsauslastung der Unternehmen liegt in Euroland in der Industrie bei nur 72 %. Das verhindert eine weitere Beschleunigung der Inflation. Wenn sich die Konjunktur allerdings – wie wir alle hoffen – bessern sollte, dann könnte sich auch das Klima bei den Preisen verändern.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die Situation bei den Wechselkursen verschoben hat.
In der Vergangenheit wurde der Anstieg der Rohstoffpreise in Europa stets durch die Aufwertung des Euro gebremst. Als Folge der Griechenland-Krise und der Verletzung der Stabilitätskriterien dürfte das in Zukunft nicht mehr, jedenfalls nicht mehr in diesem Maße der Fall sein. Damit schlagen die Verhältnisse an den Rohstoffmärkten vermehrt auf die Verbraucherpreise durch. In Deutschland steigen die Importpreise derzeit um 2,6 %. Im vorigen Jahr waren sie noch um 8,6 % gefallen. Der Preis für den Liter Superbenzin ist in Deutschland 11% höher als vor einem Jahr. Nur die Schweiz kann sich gegen den Rohstoffpreisanstieg durch den starken Franken schützen.
Vier Schlussfolgerung daraus für den Anleger: Erstens, die Deflation ist vorbei. Entsprechende Befürchtungen, die es vor allem in den USA zum Teil immer noch gibt, können ad acta gelegt werden. Damit entfällt ein wichtiges Motiv zum Kauf von langlaufenden Bonds.
Zweitens, die Inflation ist schneller zurückgekommen als viele es erwartet hatten. Wenn es nicht gelingt, den Anstieg der Rohstoffpreise in Grenzen zu halten, sondern er sich wie in den letzten Monaten fortsetzt, dann werden noch im Laufe dieses Jahres Preissteigerungsraten erreicht, die an die Grenzen der Stabilität (in Euroland knapp unter 2%) stoßen. Dann ändert sich das Klima an den Märkten und die Prioritäten verschieben sich.
Drittens, die Zentralbanken werden unter solchen Umständen bei der Normalisierung der Geldpolitik einen Zahn zulegen müssen. Bisher war es wegen der schlechten Konjunktur gängige Meinung, dass die Geldpolitik sehr vorsichtig agieren sollte. Wenn sich jetzt aber an den Rohstoffmärkten eine neue Blase bildet und diese auf die Verbraucherpreise überschwappt, dann muss diese Strategie überdacht werden. Dann reicht es nicht aus, wenn in diesem Jahr nur die Liquidität knapper gehalten und damit die sehr niedrigen Marktzinsen auf das Niveau der Leitsätze angehoben werden.
Dann müssen auch die Leitzinsen selbst erhöht werden, und zwar sicher nicht nur einmal.
Viertens: Auf den Bondmärkten wird es ungemütlicher. Schon seit Mitte März sind die Renditen in den USA deutlich angestiegen. Das hängt sicher zum Teil mit den Sorgen über die hohe Staatsverschuldung zusammen. Es ist aber auch ein Zeichen für steigende Nervosität der Anleger. Sie wird in Zukunft vermutlich noch durch die höhere Inflation geschürt. Die Zinsen können dann auch in Euroland bei Bundesanleihen steigen.