China: Hochland inmitten des Finanz-Tsunamis?

"Die Daten für das dritte Quartal haben die Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums bestätigt und die Regierung auf ihrem neuen Kurs der Wachstumsförderung bestärkt", so Christian Hofmann, Chief Representative Beijing Office bei der FIVV AG in einem aktuellen Gastkommentar zu China. Funds | 11.11.2008 06:16 Uhr
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Eine deutlichere Sprache spricht der zuletzt signifikante Rückgang der Industrieaktivität. Hatte das Wachstum der Industrieproduktion im Vorjahr noch 19,2 Prozent betragen, fiel dieses im dritten Quartal auf 15,2 Prozent – für den Monat September gar auf 11,4 Prozent. Die Wachstumsraten bei Stromerzeugung und Steuereinnahmen malen ein ähnliches Bild: Mit einem Plus von 9,9 Prozent für die ersten neun Monate und 6,3 Prozent für den September wuchs der Output chinesischer Kraftwerke sehr viel langsamer als im Vorjahr. Bei den Steuereinnahmen sorgt insbesondere die sich verschlechternde Gewinnsituation der Unternehmen für deutliche Einbußen. Waren die Steuererträge im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent gestiegen, blieb im dritten Quartal nur noch ein Plus von 10,3 Prozent. Betrachtet man die Entwicklung der Steuereinnahmen für die einzelnen Monate Juli (+16,5 Prozent), August (+10,1 Prozent) und September (+3,1 Prozent), wird die Verlangsamung noch deutlicher.

Wachstum auf beachtlichem Niveau

Selbstverständlich ist das Niveau, auf dem sich chinesisches Wachstum und wirtschaftliche Aktivität befinden, noch immer sehr beachtlich und stellt im Grunde alle übrigen Regionen der Welt in den Schatten. Wie so oft im Rahmen volkswirtschaftlicher Zusammenhänge zählt allerdings weniger der Status Quo, sondern die Rate und Geschwindigkeit der Veränderung.

In zyklischen Bereichen jedenfalls spielen sich zunehmend beunruhigende Entwicklungen ab: Rohstoffpreise zum Beispiel fallen in China derzeit noch stärker als auf dem Weltmarkt. Trotz Produktionskürzungen sind die inländischen Stahlpreise seit Ende September im Schnitt um 30 Prozent gefallen und die Lagerhaltung bei Kupfer hat sich verdoppelt. Der Baltic Dry Index, wichtigster Preisindex für das weltweite Verschiffen von Hauptfrachtgütern und Indikator der chinesischen Importnachfrage, ist seit Mai völlig kollabiert und notierte zeitweise 90 Prozent unter seinem Höchststand.

Weitere Zinsschritte?

Chinesische Regierung und Zentralbank haben sich vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen vollends von ihrer Politik der Inflationsbekämpfung verabschiedet und setzten auf die monetäre Stimulierung der Volkswirtschaft. Innerhalb von nur sieben Wochen – zuletzt per 30. Oktober – hat die People’s Bank of China (PboC) dreimal die Zinsen gesenkt und den 1-Jahres-Ausleihesatz auf 6,66 Prozent reduziert. Die drei- und fünfjährigen Einlagesätze wurden interessanterweise überproportional stark gesenkt, was vermutlich der Mobilisierung privater Ersparnisse und der Unterstützung chinesischer Banken (größere Zinsmarge) dienen soll.

Der zuletzt langsamere Anstieg der Konsumenten- (+4,6 Prozent im September nach + 4,9 Prozent im August) und Produzentenpreise (+9,1 Prozent im September nach + 10,1 Prozent im August) macht weitere Zinsschritte in den kommenden Wochen wahrscheinlich. Gemeinsam mit einer Senkung der Mindestreservesätze und der Abschaffung von Lohnvergabequoten werden diese für Unternehmen mit mangelhafter Finanzierungsstruktur eine gewisse Entlastung bringen und in bestimmten Sektoren (vor allem Immobilien) den ein oder anderen Konkurs abwenden. Darüber hinaus allerdings ist die chinesische Volkswirtschaft in der aktuellen Situation nicht sonderlich zinssensitiv und pessimistische Erwartungen seitens Unternehmen und Banken werden zu einer weiter rückläufigen Kreditvergabe führen.

Im Rahmen der Wachstumsförderung sollte die Stärkung der inländischen Nachfrage, allen voran des privaten Konsums, oberste Priorität haben. Fiskalpolitische Maßnahmen wirken sich dabei im Gegensatz zur Geldpolitik direkt nachfrageseitig aus. Mit Blick auf den privaten Konsum zum Beispiel wäre eine Senkung der Einkommensteuersätze weitaus wirksamer als die Reduzierung der Zinssätze für Spareinlagen.

Chinas Finanzmärkte in Zeiten der globalen Krise

China wird dieser Tage gerne als schützendes „Hochland inmitten des weltweiten Finanz-Tsunami“ bezeichnet. Und in der Tat – während die Krise die Finanzmärkte der westlichen Industriestaaten und vieler anderer Emerging Markets fest im Griff hat, halten sich die direkten Auswirkungen auf China sehr in Grenzen. Jahrzehnte der Vorsicht und Zurückhaltung bei der Öffnung des Finanzsektors machen sich dieser Tage bezahlt.

Verkehrte Welt, könnte man da fast meinen. Noch im letzten Jahr standen Regierungen und Vertreter der internationalen Hochfinanz Schlange, um Beijing zu Vereinfachungen beim Marktzugang ausländischer Institute und der Liberalisierung seines Wechselkurssystems zu überreden. Wenige Monate später trifft man sich erneut in der chinesischen Hauptstadt. Diesmal allerdings gilt das Hauptaugenmerk den chinesischen Devisenreserven und deren möglichem Einsatz zur Stabilisierung des weltweiten Finanzsystems. „Wir schwimmen gemeinsam oder wir gehen gemeinsam unter!“ erklärte José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, unlängst im Rahmen des Asien-Europa-Treffens (ASEM) in Beijing.

China allerdings hat keinen einzigen Dollar seiner USD 1,9 Billionen Devisenreserven zu verschenken und konzentriert sich auf die Stabilisierung seiner eigenen Volkswirtschaft. Dies, so Premierminister Wen Jiabao, sei Chinas „größter Beitrag an die Welt“. Am Ende könnte sich China dennoch in gewissem Umfang an koordinierten internationalen Aktionen, allen voran durch den IMF, beteiligen. Vorrang werden allerdings Chinas politische Partner, unter ihnen die Länder der Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO), haben.

Kapital und Expertise

Zugang und Ansehen internationaler Finanzinstitute jedenfalls werden in China auf Jahre hinaus belastet sein. Um die Reform des Bankensystems voranzutreiben, war China in den letzten Jahren insbesondere an zwei Dingen interessiert: Kapital und Expertise. Im Rahmen der Börsengänge großer Institute konnten westliche Banken und Versicherer bedeutende Anteile erwerben. Im Gegenzug lieferten sie Know-how und International Best Practice - Praktiken, die nun mehr denn je in Frage stehen. Die weitere Öffnung und Integration Chinas in das Weltfinanzsystem wird sich vor diesem Hintergrund deutlich verlangsamen.

Trotz gradueller Reformen hat sich das chinesische Finanzsystem stets einen hohen Isolationsgrad bewahrt. Der chinesische Yuan ist nicht frei konvertierbar und wird innerhalb eines gewissen Referenzsystems aktiv gemanagt, staatseigene Banken dominieren das Kreditgeschäft und die chinesischen Wertpapiermärkte nahezu komplett abgeschottet. Eine direkte, finanzwirtschaftliche, Übertragung des globalen Credit Crunch auf China findet deshalb nicht statt. Chinesischen Instituten kommt darüber hinaus zugute, dass sie international stets innerhalb strikter Grenzen zu operieren hatten. Ihr Ansporn zum Erwerb toxischer Assets war deshalb – ungleich europäischer Banken und Versicherer – deutlich reduziert.

Wer allerdings glaubt, dass China bereits aus dem Gröbsten heraus ist, lässt wichtige monetäre und güterwirtschaftliche Transmissionskanäle außer Acht. Fallende Exporte und eine deutlich rückläufige Industrieaktivität haben das chinesische Wachstum im dritten Quartal auf 9,0 Prozent fallen lassen. Zwar bleibt China damit die weltweit dynamischste Volkswirtschaft. In den kommenden Monaten allerdings werden noch enorme Herausforderungen zu meistern sein.

Yen- und US-Dollar gewinnen an enormer Stärke

Eine direkte Folge der Finanzkrise sind massive Verwerfungen an den internationalen Devisenmärkten. Die Kreditaufnahme in Niedrigzinsländern zur Spekulation in Anlagen mit höheren erwarteten Renditen – der so genannte Carry-Trade – ist plötzlich aus der Mode gekommen. Deleveraging und der Rückzug in vermeintlich sicherere Anlagen ist das Gebot der Stunde. Das Ergebnis war in den vergangenen Wochen eine enorme Yen- und US-Dollar-Stärke, der deutliche Verluste bei hochverzinslichen und risikoreicheren Währungen gegenüberstand.

Der chinesische Wechselkurs orientiert sich zwar offiziell an einem Korb internationaler Währungen, folgt in der Praxis – auch im Rahmen der jüngsten USD-Rallye – aber der US-Währung. Im Verhältnis zu vielen anderen Handelspartnern ergibt sich für Chinas Exporteure – zusätzlich zu einer konjunkturell bedingten Abschwächung der ausländischen Nachfrage – damit eine deutliche Belastung über den Wechselkurs. Hat sich am Preis chinesischer Exportgüter für Amerikaner in den letzten Monaten nur wenig geändert, zahlen nahezu alle übrigen Importeure einen deutlich höheren Preis.

Das stabile Wechselkursumfeld, das dem Wachstum chinesischer Exporte und dem Zufluss ausländischen Kapitals in den vergangenen Jahren so gut getan hat, ist damit empfindlich gestört und der Anstieg der Volatilitäten verkompliziert das Wechselkursmanagement der chinesischen Zentralbank ungemein. Auf Unternehmensebene führt dies bereits jetzt zu heftigen Verwerfungen. Die direkten Wechselkurseffekte könnten in den kommenden Monaten dabei von einer anderen Entwicklung noch in den Schatten gestellt werden – der Kapitulation des amerikanischen Konsumenten.

Expansives Liquiditätsumfeld

In den vergangenen Jahren hat sich das Leistungsbilanzdefizit der USA enorm ausgeweitet und lag in der Spitze bei 7 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts. Die hohen Leistungsbilanzüberschüsse Chinas und anderer aufstrebender Volkswirtschaften sind das direkte Spiegelbild dieser Entwicklung. Um eine zu starke Aufwertung des Yuan zu vermeiden, musste die chinesische Zentralbank gewaltige Mengen an Dollars aufkaufen. In erster Linie sind Chinas gewaltige Devisenreserven damit das Ergebnis des amerikanischen Konsum- und Verschuldungsbooms!

Massive Zuflüsse ausländischen Kapitals in Verbindung mit dem aktiven Wechselkursmanagement der chinesischen Zentralbank haben in China zu einem sehr expansiven Liquiditätsumfeld geführt. Positive Auswirkungen auf die inländische Nachfrage und Exzesse am Aktien- und Immobilienmarkt waren ebenso die Folge, wie ein äußerst optimistisches Investitionsverhalten chichinesischer Unternehmer. Der US-Konsument hat das chinesische Wachstum also nicht nur direkt – über die Nachfrage nach chinesischen Exporten, sondern auch indirekt – über die Liquiditätsschaffung der chinesischen Zentralbank, angetrieben. Und dies über eine gesamte Dekade hinweg.

Schwere der Krise noch nicht absehbar

Nun allerdings gleiten die USA – und mit ihnen die Weltwirtschaft – in eine Rezession ab, deren Dauer und Tiefe noch immer nicht abzusehen ist. Aller Voraussicht nach wird der amerikanische Verbraucher seine Sparquote deutlich erhöhen müssen. Das amerikanische Handelsbilanzdefizit wird sich in den kommenden Monaten dramatisch verringern. Parallel dazu wird sich der chinesische Handelsüberschuss deutlich reduzieren und die besprochenen Liquiditätseffekte könnten sich leicht umkehren. Die Auswirkungen auf die chinesischen Assetmärkte, vor allem aber die inländische Investitionstätigkeit – Hauptstütze des chinesischen Wachstums – wären profund.

Unter normalen Umständen wären die Aussichten für die chinesische Volkswirtschaft also nicht sonderlich erquickend – befände sich die Welt nicht seit der ersten Oktoberwoche in einem Modus der Wirtschaftsstimulation nie dagewesenen Ausmaßes. Weltweit senken Zentralbanken von Schweden bis Korea, von Indien bis Kanada massiv die Zinsen. Weitere fiskalpolitische Maßnahmen und Ausgabenprogramme in den USA und China, aber auch in Großbritannien und Deutschland, werden folgen. Es bleibt damit abzuwarten, wie schwer die globale Finanz- und Wirtschaftskrise am Ende ausfällt. In engem Zusammenhang damit steht jedenfalls auch, welche Erwartungen wir an die Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft im kommenden Jahr haben dürfen.

Bewertungen in vielen Fällen attraktiv, Ende des Bärenmarktes aber unwahrscheinlich

Wie erwartet konnte das am 18. September durch den Staatsrat erlassene Maßnahmenpaket (Reduzierung der Transaktionssteuer auf Aktiengeschäfte, Aktienrückkäufe durch staatliche Gesellschaften) an den Inlandsbörsen nur kurzzeitig für etwas Phantasie sorgen. Seit Anfang Oktober befand sich der CSI 300 Index der chinesischen Unternehmen mit der höchsten Marktkapitalisierung wieder im Rückwärtsgang und verlor auf Monatssicht 24,6 Prozent. Rückläufige Gewinnentwicklungen und die schlechte internationale Nachrichtenlage geben den Anlegern wenig Vertrauen. Einziger Ausweg für steigende Kurse wäre ein klares Bekenntnis der chinesischen Regierung zum Aktienmarkt – diese hat derzeit jedoch offenbar andere Dinge zu tun.

Die in Hongkong gelisteten chinesischen H-Aktien fielen bis zu ihrem Monatstief am 27. Oktober um 46,6 Prozent und beendeten den Oktober mit einem Minus von 26,3 Prozent. Im Zeichen der weiteren Entspannung an den internationalen Kredit- und Devisenmärkten richten Investoren ihr Augenmerk wieder verstärkt auf Bewertungen, wobei China auf dem aktuellen Niveau nicht unattraktiv erscheint. Eine Vielzahl von Unternehmen befindet sich nahe historisch niedriger Bewertungsniveaus und in den hinteren Reihen des Marktes finden sich dieser Tage wirkliche Schnäppchen.

Die aktuelle Aufwärtsbewegung hat damit durchaus das Potenzial, sich eine Weile fortzusetzen – eventuell sogar bis in das nächste Jahr hinein. Darüber hinaus allerdings birgt eine lange Kette schlechter Nachrichten die Gefahr eines erneuten Sell-offs. Ob die jüngsten Tiefstände dabei getestet werden, lässt sich nicht sagen. Fakt ist allerdings, dass die Analysten sich mit der Rücknahme ihrer Schätzungen noch immer sehr schwer tun. In ausgesprochen zyklischen Sektoren sind die Downgrades zwar bereits weit fortgeschritten. In anderen Bereichen dagegen, vor allem bei Financials und Properties, bestehen noch immer deutlich überzogene Erwartungen.

Ähnliches gilt für die weltweiten Wachstumsraten. Noch immer herrscht vielerorts die Meinung, dass sich die USA mit einer relativ kurzen, V-förmigen Rezession aus der Affäre ziehen können. Die Chancen dafür dürften trotz einer monetären Flutung des Systems, Steuersenkungen und neuer Ausgabenprogramme eher gering sein. Wahrscheinlicher ist eine lange Rezession und der Punkt, an dem die Märkte dies realisieren, wird die letzte Phase dieses Bärenmarkts einläuten.


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