Märkte im Fokus: Russland und Türkei

Die Wahl Medwedews brachte Russland weiterhin Stabilität. Die Wirtschaftsdaten sind exzellent. Türkei bleibt hingegen ein politischer Unruheherd in Europa. Ein Gastkommentar von Harald Gallob, Fondsmanager der Advisory Invest GmbH mit einem Blick auf den russischen und türkischen Aktienmarkt. Funds | 06.05.2008 06:00 Uhr
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Russland: Medwedew darf vollenden

Präsidentenwahl in Russland Anfang März brachte den vom Markt erwartenden Ausgang. Der Wunschkandidat vom scheidenden Amtsträger Putin konnte sich bereits im ersten Wahlgang souverän durchsetzen. Wir unterstreichen nach diesem Ereignis unsere Sicht zur russischen Wirtschaftsentwicklung und zum russischen Aktienmarkt:

1. Die Wahl Medwedews bringt die Stabilität, die Russland benötigt. Vorhandene Netzwerke rund um den Geheimdienst und die ´Lieblingsoligarchen´ des Kreml bleiben bestehen. Die wirtschaftliche Entwicklung behält ihren roten Leitfaden, der wie folgt lautet: Verwendung der Einnahmen aus den Rohstoffexporten für Aufbau der Infrastruktur, Erhöhung des Lebensstandards des Durchschnittshaushaltes und strategische Investitionen im Ausland.

2. Man darf sich nicht täuschen lassen: der starke Mann Russlands bleibt Putin, vom Mai an als Premierminister. Wir können die oft gehörte Einschätzung, dass Medwedew neue Wege (mehr Liberalität, neue Schwerpunkte in der Außenpolitik, Privatisierungen von Rohstoffgiganten) beschreiten wird, nicht teilen. Dazu ist Medwedews Karriereweg zu sehr von Putin bestimmt worden und er ist zu sehr integriert im bestehenden Machtzirkel. Es geht in den kommenden Jahren um die Vollendung des starken Russlands; dies lässt sich ein Machtmensch wie Putin nicht aus der Hand nehmen.

3. Die wirtschaftlichen Eckdaten für Russland sind exzellent und erlauben die Finanzierung der oben erwähnten wirtschaftlichen Leitthemen. Das reale Wirtschaftswachstum lag 2007 bei über 7,7% und es ist unsere Annahme, dass Wachstumsraten über 7% in den nächsten Jahren die Norm bleiben werden. Die Währungsreserven der Nationalbank betragen mehr als 400 Mrd USD und zählen damit zu den Top 5 weltweit. Im Stabilitätsfonds (der primär aus den Steuern aus dem Ölexport finanziert wird) sind weitere 100 Mrd USD.

4. Russland wird in den kommenden Jahren (bis 2020) über 750 Mrd USD für Infrastrukturprojekte ausgegeben, wenn die von Putin bei seiner letzten Rede zur Nation erwähnten Vorgaben realisiert werden. Dieser Betrag ist rein der Beitrag aus den Budgets und dem Wohlstandsfonds. Die Privatinvestitionen sind hier noch gar nicht mitgerechnet. Als Beispiel: allein für die Eisenbahn soll bis 2015 rund 200 Mrd USD (Budget plus Privatwirtschaft) ausgegeben werden. Wer jemals in Russland mit der Eisenbahn oder dem Auto unterwegs war, hat erlebt was in diesen Bereichen zu tun ist.

5. Nachdem die Fortschritte bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen im letzten Jahrzehnt äußerst erfolgreich waren (wenn man bedenkt, dass Russland im Jahre 1998 technisch gesehen pleite war), ist es noch nicht gelungen, dem Durchschnittsrussen einen höheren Lebensstandard zu sichern. Hier sehen wir einen Quantensprung, dessen Beginn sich nun abzeichnet. Speziell für die unteren Einkommensschichten (insbesonders Pensionisten) sind Budgetmittel von über 300 Mrd USD in den nächsten Jahren vorgesehen. Nimmt man dazu, dass generell das reale Haushaltseinkommen stärker wachsen sollte als die Gesamtwirtschaft, ist abzusehen, dass der private Konsum in 10 Jahren einen zentralen Stellenwert in der Gesamtwirtschaft einnehmen dürfte.

Aus diesem großen Szenario kommen neben den Öl-,Gas Blue Chips neue, spannende Sektoren als Kernthemen des aktiven Investors in Russland in den Fokus:

Konsolidierung im Erdöl- und -gasbereich

Die letzten beiden Jahre brachten eine starke Konsolidierung in diesem Segment. Dominante Aufkäufer waren dabei Gazprom (zB Übernahme von Sibneft, Beteiligung an Novatek) und Rosneft (zB zahlreiche Assets der ehemals größten Ölgesellschaft Yukos). Beide Konzerne sind vom Staat (sprich: Kreml) dominiert. Wir erwarten, dass die Nummern 3 und 4 (TNK BP und Surgutneftegaz) in diese Gesellschaften integriert werden; daraus ergeben sich Chancen, dass der Sektor seine internationale Underperformance der letzten beiden Jahre reduziert. Hilfreich in diesem Kontext wären auch sich ausdehnende Spekulationen über Verringerung der prohibitiven Besteuerung von Erdölexporten.

Retailorientierte Geschäftsmodelle

In diesem Bereich gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, die Beachtung verdienen. Ein Kerninvestment aus unserer Sicht ist der Konsumretailer Pyaterochka, quasi der Billa Russlands. Mit einem aggressiven Rollout in ganz Russland (wobei auch Akquisitionen getätigt werden) hat sich das Unternehmen als Marktführer etabliert.

Infrastruktur als Investmentthema

Dieses Gebiet ist sehr schwierig abzudecken, da die lokale Bauindustrie sehr fragmentiert ist. Für uns ist die in Wien notierte STRABAG ein Titel, mit dem ein Teil der Phantasie in diesem Bereich abgedeckt werden kann. Speziell die Olympischen Winterspiele in Sochi 2014 (mit geschätzten Infrastrukturinvestitionen von rd. 12 Mrd USD im Vorfeld) verleihen der STRABAG Phantasie, da dies der Heimatort von Oleg Deripaska ist (einer der Hauptaktionäre).

Aktienmarkt: positive Entwicklung im Herbst möglich

Der russische Aktienmarkt (gemessen am RTS Index) ist in den letzten Wochen in einer Seitwärtsrange zwischen 1950 und 2200 Indexpunkten. Wir erwarten, dass diese Bandbreite über den Sommer hinaus bestimmend bleibt und erst im Herbst ein Ausbruch nach oben passieren kann (weitere Informationen zu Russland inkl. Charts finden Sie auch im Advisory Report/EAST).

Türkei: Ruhe ist woanders
 
Die Türkei macht im heurigen Jahr ihrem Ruf als politischer Unruheherd in Europa alle Ehre: nach dem Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak (zur Verfolgung kurdischer Separatisten), legte man im April noch einen Gang zu. Mit dem Beschluß eines Gesetzes, das das Tragen von Kopftüchern an den Universitäten gestattet, kam es zu Rufen nach dem Verbot der mit absoluter Mehrheit regierenden islamischen Partei AKP. Der Verfassungsgerichtshof kam zur Auffassung, dass eine Anhörung dieser Frage zulässig sei; in den nächsten Wochen ist daher wieder einmal die Besonnenheit der lokalen Spitzenpolitiker gefragt.

Einschätzung des Aktienmarktes

Der Aktienmarkt goutierte diese Auseinandersetzungen nicht wirklich. Wie ist die aktuelle Situation zu beurteilen?

Generell ist zu sagen, dass die Marktstruktur des türkischen Marktes (mit über 40% Finanzwerten) im derzeitigen Umfeld negativ war. Die Schwäche der türkischen Lira erzeugt neben anderen Faktoren einen Inflationsdruck, der das Erreichen einer Jahresinflationsrate von unter 8% für heuer unwahrscheinlich macht. Die Phase der Zinssenkungen sollte also für die nächsten Wochen vorbei sein.

Die angeführten politischen Spannungen sind sicher nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, da sie sich auf religiöse und gesellschaftliche Grundpositionen unterschiedlicher Natur reduzieren lassen. Ein Verbot der demokratisch gewählten Partei mit den meisten Stimmen würde die Türkei aber um Jahre in ihrer Entwicklung zurückwerfen;ein Aussetzen der EU Beitrittsverhandlungen miteingeschlossen. Ein Zurückziehen des umstrittenen Gesetzes oder eine Adaption sind der einfachste Ausweg für die AKP; Premier Erdogan hat sich in den vergangenen Jahren in Krisenzeiten als Mann erwiesen, der die Herausforderungen annimmt, aber auch als Pragmatiker. Wir glauben daher an eine politische Lösung, die den Druck aus dieser Ecke minimiert.

Charttechnisch gesehen ist der 1-jährige Aufwärtstrend gebrochen und der Markt befindet sich in einem Bärenmomentum. Der nachhaltige Retest der Jännertiefststände steht noch aus, sollte aber noch vor dem Sommer passieren. Wir sehen die Region um 45,000 Indexpunkte als sehr attraktives Einstiegsgebiet an (weitere Informationen zu Russland inkl. Charts finden Sie auch im Advisory Report/EAST).


 

Zum Autor: Mag. Harald Gallob, Fondsmanager, Advisory Invest GmbH

Nach mehrjähriger Tätigkeit (1991 – 2006) als Finanzanalyst mit dem Schwerpunkt Osteuropa-Aktien-Research bei der Erste Bank der österreichischen Sparkassen war er ab 1996 als Senior Portfolio Manager bei der Siemens AG Österreich tätig. 1997 wechselte er als Senior Portfolio Manager für den Bereich Emerging Europe in die Erste Sparinvest KAG. Seit 2001 leitete er das Emerging-Europe-Equity-Team. Der mehrfach ausgezeichnete Fondsmanager ist seit März 2007 als Fondsmanager in der Advisory Invest GmbH tätig und verantwortlicher Fondsmanager des Advisory Emerging Opportunities und des Meinl Eastern Europe. www.advisoryinvest.at

 


Gastkommentare werden von anerkannten Finanzmarktexperten verfasst, deren Meinungen nicht mit jener der e-fundresearch.com Redaktion übereinstimmen müssen.

 


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