Vorsicht! Die Zinsen können auch steigen

Die Zinsen werden in den kommenden Monaten mehr von der steigenden Geldentwertung als von schlechter Konjunktur und Finanzkrise beeinflusst. Es dürfte auch die Zeit der drastischen Zinssenkungen durch die amerikanische Notenbank vorbei sein. Jetzt geht es nur noch maßvoll nach unten, vielleicht auch mal nach oben. Funds | 24.04.2008 19:36 Uhr
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Werden die Zinsen fallen oder steigen? Was für eine Frage, werden viele sagen. Natürlich werden sie fallen. In den USA hat die Federal Reserve ihre Sätze in den letzten Monaten so stark und so schnell gesenkt wie noch nie zuvor. Der Markt geht davon aus, dass das auch noch weitergehen könnte. Die Europäische Zentralbank ziert sich noch. Die meisten Beobachter erwarten jedoch, dass auch sie im zweiten Halbjahr lockern wird. An den Kapitalmärkten hat sich die Rendite festverzinslicher Papiere in den letzten Monaten unter Schwankungen um einen halben Prozentpunkt nach unten bewegt. Warum also dann die Frage nach Zinserhöhungen?

Zinsumfeld nicht so einfach wie es aussieht

Nun, ganz so einfach ist die Sache nicht. Denn das fundamentale Zinsumfeld ist durchaus differenziert. Es gibt zum einen die schlechtere Konjunktur und die internationale Finanzkrise. Beides spricht für niedrigere Zinsen. Es gibt auf der anderen Seite aber die erhöhte Geldentwertung. Sie müsste die Zinsen eigentlich steigen lassen. Die weitere Entwicklung bewegt sich in diesem Spannungsfeld.

Inflation wird wichtigster Faktor

Derzeit schauen die meisten auf die Konjunktur und die Bankenkrise. Das ist verständlich, im Hinblick auf die Zinsentwicklung aber „einäugig“. Immerhin liegt die Geldentwertung in Euroland mit 3,5% auf dem höchsten Stand seit Inkrafttreten der Währungsunion. In den USA beträgt sie 4%.

In den Schwellenländern ist sie sogar noch höher. China hat eine Rate von 8,7%, Indien von 8,4%, Vietnam sogar von 19,4%. Anders als in früheren Zeiten ist diesmal nicht zu erwarten, dass sich die Preissteigerungsrate wegen der schwächeren Konjunktur gewissermaßen automatisch verlangsamt. Denn die wichtigste Ursache sind die Rohstoffpreissteigerungen, von Öl über Industrierohstoffe bis hin zu Weizen und zuletzt Reis. Das belastet die Industriestaaten und führt dort zu Zweitrundeneffekten bei den Löhnen. Wir erleben dies gerade in diesen Wochen in der Bundesrepublik (+ 8% im öffentlichen Dienst). Es ist aber eine noch größere Bürde für Schwellenländer, in denen Nahrungsmittel vielfach einen Anteil von 50% und mehr bei den Gesamtausgaben der Bevölkerung haben.

Zweitrundeneffekte werden kommen und die Inflation anheizen

Dies zu verhindern ist Aufgabe der Geldpolitik. Sie wird der Preissteigerung in Zukunft eher mehr als weniger Aufmerksamkeit widmen. Es gibt in der Welt eine Reihe von Zentralbanken, die die Zinsen zuletzt erhöht haben. Das prominenteste Beispiel ist China (wobei die Sätze dort immer noch relativ niedrig sind). Australien hat die Sätze im März noch einmal um 25 Basispunkte angehoben. In dieser Woche hat Singapur die geldpolitischen Zügel angezogen.

USA: Zinssenkungen vorbei?

In den USA geht es zwar nicht um eine Straffung der Geldpolitik, wohl aber um eine Verlangsamung der Lockerung. Die Zeit der drastischen Zinssenkungen ist vorbei. Es würde mich nicht wundern, wenn die Fed die ersten Anzeichen einer Stabilisierung der Konjunktur und der Finanzkrise nutzt, um die Zinssenkung zu beenden, vielleicht sogar die Sätze wieder anzuheben. Sie möchte in jedem Fall vermeiden, dass die Inflation „Beine bekommt“ und dass auf den Märkten eine neue Blase entsteht, die ihr angelastet werden könnte.

Inflation erschwert Zinssenkungen der EZB

In Europa erklärt die hohe Preissteigerung, dass sich die Europäische Zentralbank mit Zinssenkungen schwer tut. Solange die Inflation so hoch bleibt, wird sich daran auch nichts ändern. Das hat Präsident Trichet in dieser Woche wieder ganz deutlich gemacht. Erst wenn die Geldentwertung im zweiten Halbjahr nachlassen sollte (oder die Konjunktur unerwartet stark einbricht), wird es Lockerungen geben. Aber auch dann nur vorsichtig und moderat.

Der Kasus für Zinserhöhung ist stärker bei den Zinsen im Bereich längerer Laufzeiten. In der Eurozone (ebenso wie in der Schweiz) liegt der Realzins inzwischen nur noch bei mickrigen ½% (Nominalzins minus Preissteigerungsrate). In den USA ist er sogar negativ. Das ist nur damit zu erklären, dass im Augenblick viel Geld aus dem Aktienmarkt in den sicheren Hafen der Festverzinslichen „geflohen“ ist und dort die Renditen nach unten gedrückt hat. Auf die Dauer ist es unhaltbar.

Starke Renditekurve auf Rentenmärkten

Um zu sehen, wie „unnatürlich“ die Situation an den Rentenmärkten derzeit ist, muss man sich nur einmal das ganz lange Ende des Laufzeitenspektrums anschauen. Die Renditen für 20- und 30jährige Papiere liegen schon seit Monaten relativ stabil bei 4,50%. Der Abstand zu den 10jährigen Papieren ist so groß wie selten. In den USA ist diese Verzerrung in der Renditekurve sogar noch ausgeprägter als in Europa.

Sobald sich die Situation an den Aktienmärkten normalisiert, werden die Renditen für 10jährige Staatspapiere in der Eurozone in Richtung 4 ½ bis 5% für 10jährige Laufzeiten anziehen. Diese Zielgröße ergibt sich aus der alten Daumenregel, dass die Nominalzinsen im langfristigen Gleichgewicht der Summe aus realem Wachstum (1 ½ bis 2% in Europa) und der Preissteigerung (3 bis 3 ½%) entspricht.

Was ergibt sich aus diesen Überlegungen für den Anleger?

Zunächst ist die Kreditaufnahme etwa für Immobilien von der Zinsseite her günstig. Wer vorhat sich zu verschulden, sollte dies jetzt tun. Kredite werden nicht billiger, sondern eher teurer.

Bei Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren sollten sich Investoren mit längeren Laufzeiten (rund 10 Jahre) zurückhalten. Hier sind Kursverluste zu befürchten. Anlagen in ganz langen Bonds (also in 20- oder 30jährigen Papieren) sind dagegen nicht so gefährdet, weil sie schon jetzt eine relativ höhere Rendite aufweisen. Solche Papiere sind zwar normalerweise nur etwas für institutionelle Investoren wie Pensionsfonds. Warum soll sie aber nicht auch ein Privatanleger als Beimischung zum Depot nutzen? Ich persönlich kaufe seit 25 Jahren 30jährige Staatspapiere und habe damit eine hervorragende Rendite erzielt. Das wird allerdings in den kommenden Jahren bei insgesamt höherer Inflation nicht so bleiben.

Obligationen mit ganz kurzen Laufzeiten (etwa 1 bis 2 Jahre) könnten im Hinblick auf die zu erwartenden geldpolitische Lockerung sogar Kurssteigerungspotential haben. Für Bondportfolios insgesamt empfiehlt es sich auch aus diesem Grund, keine zu lange Duration zu wählen.

Schwellenländer- und Unternehmensanleihen werfen zwar eine höhere Rendite ab als Staatsanleihen. Sie sind aber im Hinblick auf die zugrunde liegenden Risiken nicht unproblematisch. Zwar hat sich die Marktsituation hier in den letzten Wochen etwas verbessert. Das kann sich aber schnell wieder ändern.


Zum Autor: Dr. Martin Hüfner ist Chef-Ökonom und volkswirtschaftlicher Berater bei direktanlage.at


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