Wie QE die Preise verzerrt

"Der breite Einsatz unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen in den Industriestaaten, insbesondere QE, hat zu extremen Preisverzerrungen von Vermögenswerten geführt", erklärt ETHENEA-Research Head Yves Longchamp in einem aktuellen Gastkommentar. Economics | 31.08.2016 11:24 Uhr
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„Ein wesentlicher Unterschied zwischen freien Marktwirtschaften und kommunistischen Volkswirtschaften ist die Rolle der Preise. In freien Marktwirtschaften sind Preise von zentraler Bedeutung, da sie wertvolle Informationen über Nachfrage und Angebot in einer einzigen Zahl bündeln können, die wiederum den einzelnen Wirtschaftsakteuren – Produzenten und Konsumenten – bei ihrer Entscheidungsfindung hilft. In kommunistischen Volkswirtschaften hingegen beinhalten Preise nicht diese Information, da Produktion und Konsum in einem von einer zentralen Institution beschlossenen Plan festgelegt werden.

Die Finanzmärkte gelten als Paradebeispiel für eine freie Marktwirtschaft. Sie sind ein virtueller Platz, auf dem Millionen von Käufern und Verkäufern kontinuierlich standardisierte Produkte austauschen. Mehr als auf anderen Märkten spielen Preise auf den Finanzmärkten eine wichtige Rolle. Sie sind der eigentliche Grund dafür, dass Handel betrieben wird.

Ein von einer Zentralbank beschlossenes quantitatives Lockerungsprogramm (Quantitative Easing, QE) ist ein Plan, der darauf abzielt, große Mengen von Vermögens-werten zu kaufen – ganz gleich zu welchem Preis. Infolge dieser bedingungslosen Käufe verlieren die Preise ihren wertvollen Informationsgehalt, der es Anlegern normalerweise ermöglicht, für sie sinnvolle Allokationsentscheidungen zwischen den verschiedenen Anlageklassen zu treffen. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung der Marktrenditen von Staatsanleihen. Negative Renditen langfristiger deutscher Staatsanleihen ergeben genauso wenig Sinn wie die Tatsache, dass italienische Renditen niedriger sind als ihre US-amerikanischen Pendants. Noch schockierender ist, dass die Bank of England nicht in der Lage war, an den ersten Tagen  ihres  neuen  QE-Programms  genug  britische Staatsanleihen zu erwerben, obwohl der gebotene Preis für den Erwerb über den Marktpreisen lag. Dabei ist allseits offensichtlich, dass britische Staatsanleihen bereits überbewertet sind.

Jedes QE-Programm wird je nach Zentralbank unterschiedlich gestaltet und beinhaltet in unter-schiedlich starkem Umfang Staatsanleihen, Unternehmensanleihen, forderungsbesicherte Wertpapiere (Asset-Backed Securities) und Aktien. Der gemeinsame Nenner aller Programme ist, dass sie sich hauptsächlich auf den Ankauf von Staatsanleihen konzentrieren. Laut der Financial Times beträgt der Marktwert von Anleihen mit einer negativen Rendite, infolge dieser Ankaufprogramme, 13,4 Billionen USD. Diese schwindelerregende Zahl führt das Ausmaß der Preisverzerrung in diesem entscheidenden Marktsegment vor Augen. Ferner spielen die Renditen dieser Staatsanleihen bei der Asset Allocation eine zentrale Rolle, da sie als risikofreie Zinsen verstanden werden und somit die Basis für die Preisfindung aller Vermögenswerte bilden. Dementsprechend wirkt sich eine Verzerrung in diesem speziellen Marktsegment, die von der Negativzinspolitik der Zentralbanken noch zusätzlich verstärkt wird, auch auf andere Vermögenswerte aus. Neben den Ankäufen anderer oben genannter Vermögenswerte durch die Zentralbanken, die bei risikoreichen Vermögenswerten zu direkten Preisverzerrungen führen, werden Liquiditäts-und Risikoprämien zusätzlich durch den Renditehunger der Anleger beeinflusst, der diese dazu zwingt, ein größeres Risiko bei gleicher Rendite einzugehen. Die Folge dieser Kettenreaktion ist eine Fehlbewertung aller finanziellen Vermögenswerte.

Gastautor: Yves Longchamp, Head of Research, ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG
Gastautor: Yves Longchamp, Head of Research, ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG

Doch egal wie stark jeder einzelne Marktpreis verzerrt ist, die Preise bleiben untereinander konsistent. Beispielsweise werden die Renditen von US-Treasuries und deutschen Bundesanleihen – beides Vermögenswerte, die in den Augen der Anleger ähnliche Risikomerkmale aufweisen – nach Berücksichtigung der Währungsabsicherungskosten vergleichbar; und das trotz abweichender wirtschaftlicher Bedingungen und unterschiedlichem Verhalten der Zentralbanken. Auch die Aktienmärkte sind alle deutlich gestiegen und erreichten in den USA sogar neue Höchststände, da der Renditehunger die Anleger dazu treibt, trotz eines allgemeinen Pessimismus und mageren Wachstumsaussichten, Aktien zu kaufen. Das Gleiche gilt für Unternehmensanleihen. Der VIX-Index zu guter Letzt, auch Angstindex genannt, notiert nah an seinem Tiefststand, so als böte sich der Weltwirtschaft ein rosiger Ausblick.

Während bei allen Assetpreisen Fehlbewertungen zu beobachten sind, verhalten sich die Finanzmärkte konsistent und synchron, gemäß ihrer eigenen Logik. Wir fragen uns, wie lange dieser Zustand andauern wird und bis zu welchen Punkt sich dies noch weiter-entwickeln kann. Er kann Bestand haben, solange die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken gewahrt bleibt. Oder mit anderen Worten: solange die Zentralbanken in den Augen der Marktteilnehmer überzeugend handeln können und wollen. Und es kann sich so weiterentwickeln solange die mächtigste und daher glaubwürdigste Zentralbank der Welt in der Lage ist, lächerliche Preise festzusetzen. Sollte sich dieses Szenario bewahrheiten, werden risikofreie Renditen auf dem niedrigsten Niveau konvergieren und die Preise für risikoreiche Vermögenswerte quasi unabhängig von den wirtschaftlichen Fundamentaldaten ansteigen. Wie in kommunistischen Volkswirtschaften ist das Resultat letztlich Gleichheit, und nicht Fairness.

Drei mögliche Symptome könnten darauf hindeuten, dass sich dieser Zustand in seiner Schlussphase befindet. Erstens wird die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken und der Regierungen direkt herausgefordert, was zu steigenden und divergierenden Renditen von Staatsanleihen führen würde, da Risiken neu bewertet werden. Zweitens absorbiert der Währungsmarkt einen Teil der Fehlbewertungen, wodurch Volkswirtschaften und Märkte über extreme Wechselkursanpassungen wieder ins Gleichgewicht gebracht würden. Drittens könnte sich der Glaubwürdigkeitsverlust direkt im inländischen Kaufkraftverlust und damit in der Inflation nieder-schlagen. Diese Art von Inflation wäre allerdings nicht das Resultat des üblichen zu viel Geld auf der Jagd nach zu wenigen Gütern, sondern eines mangelnden Vertrauens gegenüber der Regierung. Im Extremfall könnte dies sogar zur Hyperinflation führen, wie es in Deutschland in den 1920er-Jahren, 1946 in Ungarn, in den späten 2000er Jahren in Simbabwe und derzeit in Venezuela zu beobachten war und ist.

Obwohl zum aktuellen Zeitpunkt keine dieser drei Symptome erkennbar sind, wäre eine passende Absicherung gegen ihr Auftreten die Investition in Gold. Denn Gold unterliegt nicht der direkten Kontrolle von Institutionen und ist eine Alternative zu Cash, dessen Kosten mit der Einführung der Negativzinsen dramatisch gestiegen sind.

Der Fall Japans ist hier in vielerlei Hinsicht interessant und gibt Grund zur Hoffnung im Hinblick auf unsere Analyse. Seit mehr als zwei Jahrzehnten herrscht in Japan eine Null-Wirtschaft (zero economy), d.h. eine Wirtschaft mit niedrigem Wachstum, niedriger Inflation sowie niedrigen Renditen. Dem IWF zufolge stieg das Verhältnis der Staatsverschuldung zum BIP seit 1980 um das Fünffache an, auf den aktuellen Stand von 250%, und somit auf ein langfristig nicht haltbares Niveau. Zudem hat das Land viele verschiedene Regierungs-und Zentralbankmaßnahmen gesehen, die aber praktisch keine Wirkung gezeigt haben: Es hat keine Preiskorrektur der Renditen gegeben und auch das Wachstum und die Inflation haben sich nicht erholt. Der japanische Yen entwickelte sich in letzter Zeit entgegen der Absicht der Bank of Japan, was darauf hindeutet, dass Anleger die Glaubwürdigkeit der japanischen Zentralbank infrage stellen, ohne jedoch eine tiefgreifende Glaubwürdigkeitskrise auszulösen. Die Japanisierung der Finanzmärkte und der westlichen Volkswirtschaften könnte daher ein günstiger Ausblick sein.

Der breite Einsatz unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen in den Industriestaaten, insbesondere QE, hat zu extremen Preisverzerrungen von Vermögenswerten geführt. Diese sind zwar fehlbewertet, bleiben aber untereinander konsistent. Solange die Zentralbanken ihre Glaubwürdigkeit behalten, kann dieser Zustand andauern. Derzeit deuten keine Symptome darauf hin, dass er sich in seiner Schlussphase befindet, was bedeutet, dass sich die Konvergenz der Preise fortsetzen dürfte. Gold stellt in diesem Umfeld ein gutes Mittel zur Absicherung gegen ein abruptes Ende dieses Systems dar, außer, wir werden Japaner.“ 

Yves Longchamp, CFA
Head of Research
ETHENEA Independent Investors (Schweiz) AG


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